Kapitel 21 bis 30

Hochsitze

Kapitel 30 - 14. Juni 2007


'Einmal angenommen, ein Waldspaziergänger wird von einem verrückten Wildschwein angegriffen. Wohin flüchten? Eben - auf einen Hochsitz! Hochsitze sind zum einen jagdliche Einrichtungen, zum anderen sind sie aber auch die mit Abstand häufigsten Bauwerke im deutschen Wald. Eine entsprechende Würdigung erfahren sie genau hier. Und jeder kann sich beteiligen! Fotos bitte per E-Mail an mich (Auflösung 600 x 800 Pixel), ich veröffentliche hier gerne euer Bild (auf Wunsch mit Backlink).'

Paul hatte interessehalber Hochsitz gegoogelt und gleich auf den ersten Link geklickt.

(Liebe Leser, folgen Sie Paul doch einfach ins Internet und klicken Sie hier: http://www.jan-kretschmer.de/photo/hochsitzallee.htm)

Ganz spaßig. Hoffentlich würde sich wirklich ein Hochsitz in seiner Nähe befinden, wenn es einst einmal ein Wildschwein auf ihn abgesehen haben sollte. Die Feststellung des Hochsitzfans, der diese Homepage betrieb, dass es sich um die mit Abstand häufigsten Bauwerke im deutschen Wald handelte, schien Paul auch auf den holländischen Wald zuzutreffen. Er schaute sich die Fotos an. Mehr als 150 Hochsitzfotos, eingeteilt in: Leitersitze (einfache Leiter mit Sitzgelegenheit), Kanzelleitersitze (Leitersitz mit Überdachung), Kanzel (Hochsitz mit Überdachung), geschlossenen Hochsitze, verfallene Hochsitze, sonstige Hoch- und Ansitze. Die meisten Fotos zeigten geschlossene Hochsitze.

Paul schloss das Fenster mit den Hochsitzfotos und schaute sich sein eigenes Foto noch einmal an. Da er es durch die Fensterscheibe des Hotels aufgenommen hatte, war es zu unscharf und deshalb ohne Chance, in die Homepage aufgenommen zu werden. Was nicht ist, kann noch werden, dachte Paul. Bereits mit Kennerblick erkannte er, dass es sich bei seinem Hochsitz um einen einfachen, etwa drei Meter hohen Leitersitz handelte. Wie verfallen oder brauchbar er war, das konnte er auf seinem Foto nicht erkennen. Schließlich ergab es keinen Sinn, sich vor einem Wildschwein in Sicherheit gebracht zu haben, um wenig später mit einem morschen Hochsitz in die Tiefe zu stürzen.


Regen

Paul sah durch die geöffnete Terrassentür. Es regnete in Strömen.


Mit der Seite von Wikipedia hatte Paul schon oft positive Erfahrungen gemacht. Also besuchte er auch sie und fand unter Hochsitz:

(Sie können Paul wieder folgen: http://de.wikipedia.org/wiki/Hochsitz - dort auch weiter zu den Lizenzbestimmungen die zitierten Passagen betreffend.)

'Bei einem Hochsitz (in Österreich auch Jagd- oder Jägersitz) handelt es sich um eine jagdliche Einrichtung, eine Ansitzeinrichtung. Sie dient unmittelbar der Jagdausübung, nämlich dem Aufsuchen des Wildes, und genießt daher besonderen Schutz durch das Bundesjagdgesetz und die Jagdgesetze der Länder. Hochsitze werden im Auftrag des jeweiligen Jagdausübungsberechtigten (z. B. des Jagdpächters eines gemeinschaftlichen Jagdbezirkes oder des Eigenjagdbesitzers) errichtet. Dieser ist auch meist der Eigentümer. Der Grundstückseigentümer muss die Errichtung dulden, soweit sie für die Jagdausübung erforderlich ist.
Der Hochsitz dient dem Jäger primär als Deckung und Witterungsschutz bei der Jagd. Er ermöglicht auch ein sicheres Schießen: Die Waffe kann sicher auf- oder angelegt werden, und durch die Höhe des Hochsitzes dient der Erdboden in der Regel als Kugelfang. Der Schuss kann also ohne Bedrohung für Dritte abgegeben werden.'


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Purismus

Kapitel 29 - 14. Juni 2007


Nach dem Essen erledigten sie alle zusammen den Abwasch. Auch Alexandra half, sogar ohne Extra-Aufforderung. Jeder war offensichtlich bemüht, keinen Anlass für erneuten Knaatsch zu geben. Claudia sah anschließend irgendeine der neuen Castingshows im Fernsehen. Alexandra chattete und sah nebenbei fern. Paul wollte seine Urlaubsfotos von der Digitalkamera auf Claudias Lap übertragen. Da sie trotz der unterschiedlichen Beschäftigungen alle im selben Zimmer saßen, hatte Paul das Gefühl von heiler Welt. So liebte er das Familienleben. Claudia spendierte ihnen beiden, so als hätte sie etwas gutzumachen, eine Flasche Rotwein und Paul Erdnüsse. Alexandra versorgte sich selbst mit Haribo. Pauls hatte sein Benutzerkonto auf Claudias Lap kennwortgeschützt, genauso wie Alexandra ihr Konto auf ihrem Lap. Claudias Konto war ohne Kennwort. Sie kannte sich damit nicht weiter aus.

Vor drei Jahren hatte Claudia so lange rumgejammert, bis sie einen Laptop angeschafft hatten. Schließlich, so argumentierte sie, hatten alle einen Lap. In allen ihren Zeitschriften, angefangen bei Schöner wohnen bis hin zu Atrium, waren die gestylten Wohnungen der oberen Zehntausend immer öfter mit einem Laptop ausstaffiert. Die abgebildeten riesengroßen Räume waren nie wohnlich eingerichtet, sondern spärlich. Das war in und lief unter der Bezeichnung Purismus. Eine Kunstrichtung, die rein dekorative Elemente offensichtlich total ablehnt. Außer leider nicht den Laptop, der vorzugsweise aufgeklappt und natürlich ohne Netzanschluss auf einem ansonsten leeren und langen Tisch platziert wird.

Paul hatte drei Stunden gebraucht, um damals das Betriebssystem, Word, den Internet-Explorer, Outlook, eine Firewall, ein Antivirenprogramm und Winamp aufzuspielen. Drei Tage hatte es ihn gekostet, das Wireless-Netzwerk zu installieren, alles anzuschließen, zigmal auszutesten, verzweifelt immer wieder den Lap und alle Wohnungszeitschriften dieser Welt zu verfluchen, den Router im Geschäft umzutauschen, alles wieder von vorn zu beginnen und endlich lauffähig zu bekommen. Mit seinem PC im Arbeitszimmer ging er aus Sicherheitsgründen weiter über Kabel ins Internet. Claudia nutzte ihren so sehnlichst herbeigeredeten Laptop ungefähr acht bis zehn Mal im Jahr, um bei Amazon Bücher, CDs oder DVDs zu bestellen. Er stand immer im Wohnzimmer auf dem Tisch. Ihre anfängliche Ebay-Euphorie war inzwischen total erloschen.

Vor einem Jahr brauchte Claudia dann ihren zweiten Laptop. Ihren ersten hatte sie an Alexandra weitergereicht, die ihn mit in die USA nahm. Damit war Claudias großes Computerzeitalter angebrochen. Jeden Morgen, gleich nach dem Aufstehen und noch bevor sie die Toilette aufgesucht hatte, war sie bereits online. Hatte Alexandra eine Mail geschickt oder nicht? Zwei bis dreimal in der Woche schrieben sie sich E-Mails hin und her. Seit März sah Paul Claudia noch häufiger am Lap. Die Tornadosaison hatte begonnen und Claudia rief alle paar Stunden die Tornadowarnungen für des Bundesstaat Kansas ab. Pauls Versuche, Claudia zu beruhigen, schlugen fehl, als ein eineinhalb Kilometer breiter Tornado der höchsten Gefährdungsstufe die 1.500 Einwohner zählende Kleinstadt Greensburg/Kansas dem Erdboden gleich machte. Etliche Tote. 95 Prozent der Häuser waren nicht einfach zerstört, sie waren weg. Nichts als Schutt und Kleinteile. Dreißig Kühe waren spurlos verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Paul und Claudia sahen die Bilder im Internet. Unglaublich! Einfach nur schrecklich!

Von da an schien Claudia mit ihrem Lap wie verwachsen. Beide bildeten so etwas wie eine Notgemeinschaft. Inzwischen war Claudias Lap wieder weitgehend beschäftigungslos, außer Paul nutzte ihn, wie jetzt. Das Foto-Stillleben mit dem kleinen Bier und dem 2 €-Stück war ausgezeichnet gelungen. Paul nahm einen Schluck vom Rotwein. Er schaute sich auch die Fotos vom Bosvrede genauer an und versuchte, die Zimmeranordnung und die Zimmernummern zu rekonstruieren. Ein anderes Foto vergrößerte er. Und tatsächlich, am Waldrand stand zwischen den ersten Bäumen ein Hochsitz.

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Die Fütterung

Kapitel 28 - 14. Juni 2007


"Paul, wir holen Xandra doch übermorgen ab?"
"Na klar, müssen wir wohl!"
Pauls Antwort kam beim Abendessen wie aus der Pistole geschossen, obwohl eigentlich Sendepause war. Seit dem Wortwechsel vor einer Stunde, der genau genommen gar kein Wortwechsel gewesen war, hatten sie kein Wort mehr gesprochen. Zuhause konnten sie sich aus dem Weg gehen, aber in dem kleinen Ferienapartment war die Luft wie zum Schneiden. Deshalb war Paul froh, dass Claudia wieder ein normales Wort an ihn gerichtet hatte.
"Aber wieso übermorgen? Morgen Nacht, nach Mitternacht."
"Nein, übermorgen! Das haben wir dir doch schon erzählt!"
"Tut mir leid, das habt ihr nicht! Aber würdet ihr die Güte besitzen, es mir wenigstens ein einziges Mal zu wiederholen?"

So ganz hatte sich die Atmosphäre noch nicht wieder beruhigt. Paul hatte seine Entenfütterungsaktion Drei rechts, eine Handvoll links so lange fortgesetzt, bis die Brottüte leer gewesen war. Und just in diesem Moment war Alexandra auf der Terrasse erschienen, um die Enten zu füttern, wie sie sagte.
"Mama, Papa hat all unser Brot an unsere Enten verfüttert!!!"
Die Betonung auf unser und unsere machte klar, dass Brot und Enten Alexandra und ihrer Mutter zugesprochen wurden. Claudia und Paul hatten Alexandra das Petzen in frühen Jahren abgewöhnt. Erfolgreich. Es gab nur eine Ausnahme und die gab es häufiger, als es Paul recht war: Alexandra verpetzte ihren Vater. Das ärgerte ihn jedes Mal. Umso mehr, als er genau wusste, dass das regelmäßig den Einsatz von Claudia einläutete. Die beiden waren ein eingespieltes Team.

"Paul, was soll denn das? Nicht nur, dass du das Rosinenbrot isst, als sei es kostenlos, und am liebsten alles an die Armen verteilen würdest, jetzt gibst du auch noch unser letztes Brot an die Enten!!"
Entscheidend war gar nicht, was Claudia sagte, sondern immer, in welchem Ton sie es tat. Ganz abgesehen davon, dass es für Paul ganz neu war, dass das Brot, das er besorgt hatte, Alexandras und Claudias Brot gewesen sein sollte. Die streitbaren Enten durften seine Damen ja gern behalten. Aber der Ton machte die Musik und klang in Pauls Ohren wie eine Oper von Orff. Kaum auszuhalten. Es tat ihm weh. Er biss die Zähne zusammen und schwieg. Es fiel ihm nie etwas Vernünftiges ein, wenn ihn Claudia derart emotional anfuhr. Stundenlanges und manchmal tagelanges Schweigen war die Folge. Paul wusste, dass die Situation mit jeder Schweigeminute verfahrener wurde, aber er konnte nicht anders. Er war wie blockiert. Nein, er war blockiert! Das waren die Momente, Stunden, Tage in denen er ernsthaft die Anschaffung eines Aquariums erwog.

"Xandra übernachtet bei Marit. Der Vater bringt sie übermorgen Mittag nach Enkhuizen, wo wir sie abholen. Alles klar?"
"Alles klar. Wieso aus Amsterdam plötzlich Enkhuizen geworden ist, allerdings nicht."
"Mensch Papa. Wir gucken uns in Amsterdam Harry Potter an, auf Englisch übrigens, und fahren dann mit der Bahn zu ihr nach Hause, nach Leylystad."
Damit war Paul immer noch nicht klar, was Leylystad mit Enkhuizen zu tun hatte, aber des lieben Friedens willen wollte er nicht weiter nachhaken. Seine Damen unterhielten sich oft ganze Tage, ohne sich bewusst zu sein, wie häufig Paul sich ausgeschlossen fühlte, wie oft er allerdings auch gar nicht dabei war. Später waren sie sich dann aber immer ganz sicher, es Paul schon erzählt zu haben.

Ihre Enten würde er jedenfalls nicht mehr füttern, selbst wenn sie verhungern sollten.

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Die Enten

Kapitel 27 - 14. Juni 2007


Die Enten kamen zurück. Wenn Paul eine Hand voll Weißbrotbrocken ins Wasser warf, veranstalteten sie ein regelrechtes Wettessen. Bald waren es zwölf, die um das Brot wetteiferten. Einige, immer dieselben, mitten im Getümmel, andere zurückhaltender. Im Fußball würde man sagen, körperloser, jeden Zweikampf meidend. Paul bediente bevorzugt die ruhigen, friedlichen. Das führte aber nur dazu, dass die mit dem Kämpferherzen noch aggressiver wurden und anfingen, ganz rüde vorzugehen. Den schwächeren Enten blieb nichts anderes übrig, als immer wieder die Flucht zu ergreifen. Schon nach kurzer Zeit sah Paul vereinzelt Federn auf der Wasseroberfläche treiben.


Konkurrenzkampf-der-Enten

Konkurrenzkampf der Enten. Die drei Enten im Vordergrund hielten die hintere auf Abstand.


Wie gut, dass er keine Ente war. Entweder würde er ohne Federkleid durch die holländischen Grachten schwimmen oder schon in jungen Jahren (oder zählten die Enten die Monate?) elendig verhungert sein. Paul änderte seine Taktik. Erst warf er weit ausholend zwei, drei Krümel nach rechts außen. Nachdem sich die Vordrängler unter den Enten hinterher gestürzt hatten, streute er eine Handvoll Brot nach links. Dass klappte bestens und immer wieder aufs Neue. Paul setzte das Naturprogramm, das da lautet, Der Stärkere gewinnt, für ungefähr zwanzig Minuten außer Kraft. Leider nur bei den Enten.

Bei den gewissenlosen Menschen war das nicht so einfach. Die fühlten sich immer im Recht. Die konnten eine christliche Partei wählen, in der Kirche einen Euro für Brot für die Welt in den Klingelbeutel werfen, anschließend in ihren 40.000-Euro-Mercedes steigen, just for fun mal eben an die Ostsee oder in ihre 200 Quadratmeter-Wohnung fahren und eine Riesenparty mit Riesenbuffet geben, während auf der anderen Seite der Erdkugel jeden Tag 30.000 Kinder an Unterernährung starben. Paul hatte es aufgegeben, über Fragen wie Gerechtigkeit, Solidarität, christliche Botschaft oder Menschenliebe zu diskutieren. Er bekam immer die gleichen Argumente zu hören: Was konnte man schon dagegen tun? War das nicht schon immer so gewesen? Die arbeiten auch nicht so hart wie wir! Du fährst doch auch BMW, dann geh doch nach Afrika und kümmere dich um die Kinder.

Diese Antworten zeigten Paul, dass nicht einmal die Bereitschaft bestand, über die Schieflagen dieser Welt zu reden, geschweige denn, zumindest theoretisch, den Versuch zu unternehmen, sie ins Gleichgewicht zu bringen. Für das Handeln der Gutsituierten in seinem Umfeld besaß ein Menschenleben auf der anderen Erdhalbkugel keinerlei Bedeutung. Je reicher, desto unsensibler waren sie. Vielleicht waren sie reich geworden, weil sie so unsensibel waren? Wer jedoch den Finger in die Wunden dieser Welt legte, galt ganz schnell als nicht ernstzunehmender Weltverbesserer, als weltfremder Spinner, unverbesserlicher Pessimist, alter Kommunist oder, wenn der Diskussionspartner sehr engagiert auftrat, auch schon mal als angehender Terrorist.

Das hatte Paul häufig genug erlebt, sogar in sehr viel subtilerer Form. Ein Geschäftsführer seines zweiten Arbeitgebers hatte ihn vor versammelter Mannschaft mit dem Titel Pastor belegt, weil Paul gegen die Schließung der betrieblichen Kantine argumentiert hatte. Das war fünf Jahre nach seinem Betriebswirtschaftsstudium gewesen. Damals fuhr Paul noch seine Ente.

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Das Aquarium

Kapitel 26 - 14. Juni 2007


Paul war kein Tierfreund. Wahrscheinlich lag es daran, dass er einfach nie Umgang mit Tieren hatte. Dafür hatte er Respekt vor ihnen, besonders vor Hunden und Pferden, obwohl er keine schlechte Erfahrungen mit ihnen machen musste. Sein Vater besaß früher ein Aquarium mit Guppys, Neonfischen, Skalaren, Welsen und einem Kampffisch. Die Stunden, die Paul in seiner Jugend damit zugebracht hatte, den Fischen zuzusehen, mussten in die Tausende gegangen sein.

Immer, wenn es mit seinem Vater Stress gab, wandte er sich den Fischen zu. Sie waren nicht gestresst, nicht gereizt, zeigten ihm nicht Tag für Tag, dass er so, wie er war, nicht richtig war. Gaben ihm nicht jahrelang das Gefühl, zu stören, wiederholten nicht die immer gleichen Vorhaltungen. Sie nörgelten nicht an seinen langen Haaren herum, um im nächsten Atemzug voller Überzeugung zu erklären, dass bei Hitler nicht alles schlecht gewesen sei. Bei ihnen ging es nicht um eine Minute, die er zu spät zum Abendessen heimgekommen war. Sie störten sich nicht an den Hausschuhen, die er nicht trug, nicht an dem gekochten Ei, das er ungeschickt aß, und auch nicht an dem Schraubenzieher, den er nicht fachmännisch genug handhabte. Nein, die Fische kamen gern zu ihm an die Scheibe des Aquariums. Er brauchte diese nur mit dem Finger zu berühren. Es schien sogar, als mochten sie seine Musik. Sie waren immer dankbar für seine Gesellschaft, noch dankbarer allerdings für das Trockenfutter und die Wasserflöhe, mit denen er sie fütterte.

Für ihn war die Aquariumschau wie Meditation gewesen. Nein, nicht dass er geistesabwesend alles um sich herum vergessen hätte, dazu war die Stimmung jedes Mal einfach zu bedrückend, aber er hatte seine Ruhe. Es gibt Menschen, die Ruhe, absolute Ruhe überhaupt nicht vertragen können, die immer Leben oder zumindest eine Geräuschquelle um sich herum brauchen. Paul liebte die Ruhe, sie war ihm nicht fremd. Sie war ihm eine gute Freundin und noch heute eine gute alte Bekannte.

Er würde den Tag nie vergessen, an dem sein Vater die Fische in der Toilette herunterspülte. Weg waren sie, für immer. Von da an hatte Paul nur noch seine Musik gehabt: NDR2, Radio Luxemburg und Radio Carolina, seinen Dual-Plattenspieler und sein Uher-Tonbandgerät. Die Bee Gees, Hollies, Kinks, Tremeloes, T-Rex, CCR, Mozart, Beethoven und Bellini. Später dann, er hatte erst mit ungefähr 17 Jahren angefangen, sich für Literatur zu interessieren, waren Hesse, Dostojewski, Tolstoi, Kafka, Musil, Doderer, Lao-Tse und Highsmith hinzugekommen. Alle zusammen und jeder für sich waren sie großartiger und bewundernswerter als die Menschen, die er kannte, die Verwandten, Nachbarn, Lehrer, die Eltern seiner Freunde und Schulkameraden. Das änderte sich erst als Paul seine erste Freundin kennen lernte. Von da an war er seltener zu Hause gewesen, seltener bei seiner Musik und bei seinen Büchern.

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Global

Kapitel 25 - 14. Juni 2007


Paul war zum Glück zeitig zurück. Seine Damen hatten heute aber offenbar gar nicht mit ihm gerechnet. Alexandra erwärmte sich gerade eine Fertigsuppe, während Claudia für sie chattete. Die beiden klungelten so eng zusammen, dass sie schon mal ihre angestammten Rollen wechselten. Oder verwechselten, dachte Paul. Alexandra chattete täglich um die Welt. Global, wie sie es selbst nennen würde. Und immer mit drei oder vier Chatkontakten gleichzeitig. Wie sie das schaffte, ohne durcheinander zu geraten, blieb Paul ein Rätsel. Alexandra konnte problemlos stundenlang Parallelchatten, immer mit dem heutzutage üblichen Zweifingersystem und trotzdem schneller als Paul gucken konnte. Paul wäre dabei total durcheinander geraten und hätte seine Kurzinfos bestimmt ab und zu auf die falsche Seite der Erdkugel gebeamt. Die Verwicklungen, die das ergeben würde, konnte er sich lebhaft vorstellen. Probleme gab es bei Alexandra aber höchstens, wenn sie Hunger bekam. Dann musste sie sich im Messenger auf abwesend stellen oder Claudia musste für sie einspringen.

So wie jetzt, als Claudia mit Daniel in Henstedt-Ulzburg, Dana in Quickborn, Rachel in Wichita und Lara irgendwo in der Ukraine chattete, nicht ohne sich laufend mit Alexandra bezüglich der ein- und ausgehenden Mitteilungen abzustimmen. Paul wusste, warum Claudia nicht daran dachte, die Suppenzubereitung zu übernehmen. Sie wollte nicht nur zuschauen, sondern teilnehmen an der faszinierenden weltweiten Kommunikation. Paul erinnerte sich, an die Zeit, als seine Eltern in der ersten Hälfte der sechziger Jahre ihr erstes Telefon bekamen. Was hatte sich seitdem doch alles getan.

„Oh, das Internet funktioniert ja!“
„Ja, Gerrit war vorhin hier. Mit einem aus seiner Firma. Der hat das in drei Minuten hingekriegt!" Paul bemerkte Claudias Unterton, der ihm sagen sollte: Warum kannst du das nicht! "Geht aber nur mit Kabel, nicht wireless. Dazu muss er noch einen Access Point, oder wie das heißt, hier im Haus installieren.“ Alle Achtung! Claudia lernte schnell.
"Es geht ja auch so. Aber eben immer nur mit einem Lap zu Zeit.", merkte Paul an, bevor er gleich wieder ausgeschlossen wurde.
„Mama! Was hat Rachel denn nun geantwortet?“
„Sie will dich in zwei Jahren besuchen kommen. Was soll ich ihr schreiben? That's wonderful? I'm glad. I'll show you Hamburg, Berlin and our nice coasts?“ "Ne, Mama, schreib ihr nur, Great! und, dass sie Katie mitbringen soll."

Als Paul auf die Terrasse trat, verscheuchte er unbeabsichtigt die Enten, die sich offenbar eine Wiederholung der gestrigen Fütterung erhofft hatten. Paul nahm auf einem der Liegestühle Platz und stand sofort wieder auf. Er hatte sich auf etwas Weiches gesetzt. Es war das Weißbrot, das er heute Morgen im Supermarkt gekauft hatte. Die Packung war angebrochen. Es sah ganz so aus, als wenn eine Fütterung bereits stattgefunden hatte. Das Brot war jetzt erst recht zu nichts anderem mehr zu gebrauchen. Paul rückte den Stuhl ein wenig zurecht, so dass seine Füße über dem Wasser baumelten.


vorbeikommendes-Boot

Paul setzte sich gerade auf die Terrasse, als ein Boot vorbeifuhr. Vielleicht hatte der Hund die Enten verscheucht.

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Das Hotel

Kapitel 24 - 14. Juni 2007


Die Zimmer des Bosvrede besaßen keine Dachterrassen und auch keine Balkone. Ihre Fensterfronten wurden unterbrochen von strahlend weißer Außenfassade und von ebenfalls vom Boden bis zur Decke reichenden weniger breiten Fenstern, hinter denen Paul große Kakteen und schwarze Sessel erkennen konnte. An der Rezeption fragte er auf Englisch, ob in der kommenden Woche noch Zimmer frei wären. In der Zeit vom 20. bis 22. Juni gab es fünf freie Doppelzimmer, die alle nach vorn zur Eingangsseite und zu den Parkplätzen gelegen waren. Die Fensterfronten der teureren aber schon gebuchten Suiten zeigten ausnahmslos nach hinten, in Richtung Westen. Paul gab vor, für eine Kundenveranstaltung seines Unternehmens alle Suiten zu benötigen und erkundigte sich nach Terminen im Mai 2008. Eine nette junge Dame ging mit ihm nach oben.

Im für ein Hotel ungewöhnlich breiten und Licht durchfluteten Korridor hingen moderne Grafiken. Paul sah zum leicht gewölbten Glasdach des Korridors empor. Alles war gepflegt. Sogar das Glasdach war frei von Blättern und offensichtlich erst vor kurzem gereinigt worden. Es ließ viel Tageslicht herein und erweckte den Eindruck, man befände sich im Freien. Dieser Eindruck wurde dadurch noch verstärkt, dass die einzelnen Zimmer und Suiten nicht direkt vom Korridor aus zugängig waren, sondern von zwischen den Zimmern ausgesparten Zwischen-Räumen, in denen schwarze Ledersessel und riesige Kakteen standen. Alles sehr stilvoll. Die hier ebenfalls vom dunkelgrauen Marmorboden bis zum Glasdach reichenden Fenster gaben den Blick frei auf die Parkplätze, den See, den Rasen und den Wald und zur anderen Seite auf die Terrasse, den Park, den Wald und die Dünen. Paul war sich nicht sicher, ob das, was er am Waldrand sah, ein Hochsitz war.

Paul fragte, ob er für seine Geschäftsführung ein paar Fotos, pictures, machen dürfte. Die junge Frau sprach sehr gut englisch. Paul schätzte sie auf nicht viel mehr als zwanzig Jahre. Sie erhob keine Einwände. Er fotografierte Türen mit Zimmernummern, die schönen Ausblicke nach draußen und die Lage, Aufteilung sowie Ausstattung der vier Suiten, die er sich zeigen ließ. Die erste Suite, die Paul betrat, war angenehm großzügig geschnitten. Im kombinierten Wohn-Schlaf-Bereich stand ein großes einladendes Designbett, das aus einer einzigen fast quadratischen Matratze bestand, die zirka dreißig Zentimeter über dem Ahornparkett zu schweben schien. Mittelbraunes Laken und mittelbraune Bettbezüge. An der Wand darüber ein schätzungsweise ein Meter dreißig hohes und zwei Meter breites Foto. Das Motiv war nicht genau zu identifizieren. Vielleicht der vergrößerte Teil eines Rückens, eine schön geschwungene Linie, dunkelbraune Haut. Eine geschmackvolle und sehr künstlerische Farbfotografie.

Das Parkett verlieh dem Raum trotz seiner modernen Einrichtung eine gewisse Wärme. Vor dem Fenster zwei Lederliegen. Der weiße Lamellenvorhang ließ sich per Fernbedienung von beiden Seiten zur Fenstermitte hin automatisch schließen. An der dem Bett gegenüberliegenden Wand ein riesiger Flatscreen-TV und zwei dezente kleine Boxen der Marke BOSE. Darunter, auf einem Sideboard, eine mittelgroße, leere Blumenvase, ein Videorecorder oder Satellitenempfangsgerät und ein Laptop, der offenbar kabellosen Internetzugang ermöglichte. Er war mit einem Zusatzteil versehen, das Paul für eine Diebstahlsicherung hielt, ähnlich der Sicherungen mit denen die teureren Artikel in den großen Kaufhäusern versehen werden, nur viel kleiner und unscheinbarer. Vom dunkelbraunen Ledersofa, das mit zwei Freischwingern und einem weißen Tisch im Stil der 50er Jahre die Lese- bzw. Fernsehecke bildete, hatte man wie vom Bett und von den Liegen einen wunderschönen Blick auf den rückwärtigen Garten und den angrenzenden Wald.

Von der Terrasse war aus dieser Suite nichts zu sehen. Das vom WC getrennte Bad der Suite bot seinen Hotelgästen zwei nebeneinander platzierte rechteckige Waschbecken, eine Spiegelwand und neben einer geräumigen Duschkabine einen kleinen quadratischen Whirlpool, in dem nach Pauls Beurteilung wohl zwei Personen Platz hätten. In einem weiteren nicht mehr als sechs Quadratmeter großen Raum waren ein Kühlschrank, eine Kaffeemaschine und eine kleine Essecke untergebracht. Auf dem Tisch lag die Karte des Hotelrestaurants. Wer wollte, konnte sich das Frühstück oder auch kleinere Zwischenmahlzeiten auf die Suite bringen lassen. Die anderen Suiten waren im gleichen Stil gehalten. Accessoires, Farbgebungen und Fotos gaben jeder Suite ihre eigene Note und Stimmung.

Paul wurde anschließend durch das Restaurant geführt, durch zwei Tagungsräume, die durch das Entfernen der Zwischenwand zu einem großen Raum umgestaltet werden konnten, durch Bar und Aufenthaltsraum. Im Untergeschoß, besichtigte Paul einen Schwimmingpool, die Sauna und zwei Fitnessräume und - für ihn unerwartet aber sehr interessant - eine Garage, in der er neben einem Porsche Carrera Cabrio einen Bentley Continental GT und einen Jaguar XJR V8 stehen sah. Der Jaguar war silbergrau.

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An der Alster

Kapitel 23 - 14. Juni 2007


Paul stellte seinen BMW auf den letzten Stellplatz, in den er rückwärts einparkte. Im Rückspiegel sah er gepflegten Rasen. Gute zwanzig Meter dahinter begann der Wald. Die Parkplätze bestanden wie ihre Zuwegung aus zwei Reihen in den Rasen eingesetzter grauer Pflastersteine. Meterhoher Rhododendron trennte die einzelnen Stellplätze voneinander. Wenn ein Parkplatz diese Bezeichnung zu Recht verdient hatte, dann war es dieser! Ein Platz mitten im Park! Beim Aussteigen bewunderte Paul auch den See. Lang gestreckt mit nahezu geradlinigen Ufern wirkte er wie eine der Grachten, die das Landschaftsbild in Nordholland prägen. Er zog sein dunkelgraues Sakko über sein weißes Hemd und steckte Handy und Digitalkamera ein.

Über eine Holzbrücke gelangte er zum Eingang. Ein Aluminiumschild verriet ganz dezent den Namen: Bosvrede. Waldfrieden, übersetzte Paul und war sich sicher, für diesen friedlichen Ort mitten im Wald konnte es keinen passenderen Namen geben. Erst jetzt fiel ihm ein, dass es in Quickborn ein Hotel gleichen Namens gab. Das Hotel Waldfrieden lag im Norden von Quickborn, an der Kieler Straße Richtung Bilsen. Paul kannte das Hotel seit seinem zwölften Lebensjahr. Als er bei seinen Eltern in Norderstedt wohnte, war er einmal die fast zehn Kilometer zum Waldfrieden geradelt. Damals logierte hier die Bundesligaelf des HSV vor ihren Heimspielen im Volksparkstadion und Paul hatte auf das eine oder andere Autogramm gehofft. Da er zu zurückhaltend war und nicht wie andere einfach ins Hotel stürmte, war er damals leer ausgegangen.

Heute würde Paul das Hotel betreten. Er sah sich noch einmal um. Die Hotelanlage war nicht eingezäunt. Ganz anders als in Deutschland, wo jeder Häuschen- oder Kleingartenbesitzer am liebsten Steinmauern oder doch wenigstens Stahlzäune um sein Grundstück baute, gab es in Holland überwiegend kleine Hecken oder aber auch gar keine Abgrenzungen. Er betrat das Hotel. Durch die modern und großzügig gestaltete Empfangshalle gelangte er unbehelligt in das Restaurant und von dort auf die Terrasse. Den Garten betrat er nicht, aber er warf einen Blick auf den rückwärtigen Teil des Gebäudes. Die Zimmer befanden sich im ersten, obersten Stock. Jede Zimmerfront bestand aus einem einzigen großen Fenster.

Paul kannte diese großen vom Boden bis zur Decke reichenden Fensterscheiben. Ein Freund von Michi bewohnte in Hamburg-Winterhude eine gemietete 200 Quadratmeter Penthousewohnung. Die Fensterfront des Wohnbereichs bestand aus zwei hintereinander verschiebbaren Glastüren. Durch sie trat man auf die Dachterrasse.


Aussenalster-unweit-von-Michis-Freund

Paul erinnerte sich an die schönen Häuser an der Außenalster


Das Alsterpanorama war beeindruckend, nicht weit entfernt Bobby Reich, das beliebte an der nördlichen Ecke der Außenalster gelegene Café. Michis Freund war Art-Director einer erfolgreichen Werbeagentur. Michi hatte Paul einmal zu einer Party an die Alster mitgenommen. Von ihm wusste er, dass der Freund mittlerweile mit fünf Prozent an der Werbeagentur beteiligt war. Das sollte in der Branche üblich sein, um zu verhindern, dass gute Mitarbeiter ihre eigene Agentur gründeten und gute Kunden mitnahmen.

Paul hatte sich auf der Party nicht sehr wohl gefühlt. Wichtigtuerei, oberflächlicher Smalltalk über Geschäfts-, Wochenend- und Weltreisen ödeten ihn an. Ambiente und Buffet waren allerdings erstklassig gewesen. Die vor dem Penthouse stehenden Cabrios ebenfalls. Paul hatte selten so viele von ihnen auf einem Fleck gesehen.

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Die Biografie

Kapitel 22 - 14. Juni 2007


Dr. Dr. Rainer Buschmann, geb. 13.01.1951

Mitglied Vorstand und Arbeitdirektor Novalis International AG, Frankfurt
zuständig für Finanzen, Controlling, Personal, Organisation, IT, Asien, Nordamerika

zuvor:
Assistent des Vorstandsvorsitzenden der Hochpharma AG, Frankfurt; Bereichsleiter Unternehmensplanung, Organisation und Personal bei der SchwarzChem GmbH, Hamburg; Kaufmännischer Geschäftsführer SchwarzChem GmbH, Hamburg

Studium Universität Hamburg - Dissertation am Lehrstuhl Prof. Dr. Dr. Jacob:
Die Bedeutung heuristischer Methoden und stochastischer Verfahren für den optimalen Personaleinsatz im Industriebetrieb

Aufsichtsrat Deutsche Bank AG, Metro AG, Adecco AG, Plenum AG, Eon AG

Vorsitzender Arbeitgeberverband Chemie Mitte (seit 2004)

Berater der Bundesregierung, Berater der Hessischen Landesregierung

Expertenkommission des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
Mitarbeit im Projekt: Steigerung des Sozialprodukts und Senkung der Arbeitslosigkeit durch Zuwanderung von Arbeitskräften aus Osteuropa und Indien

Ehrendoktor Universität Heidelberg, Ehrendoktor Universität Neu-Dehli,
Dozent Universität Köln, Dozent Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg

Veröffentlichungen: "Der Mitarbeiter und sein Return on Investment" HR-Verlag 1998,
"HRM goes international" EthiCon 2002, "Diversity Management" EthiCon 2003

Personal- und arbeitsmarktpolitische Konzepte mit internationaler Beachtung:
- Homogenisierung der Personalkosten internationaler Unternehmen
- Volkswirtschaften im internationalen Wettbewerb (Förderung d. Wettbewerbsfähigkeit, Umbau des Sozialstaats, Stärkung des Leistungsprinzips und des freien Unternehmertums)
- Best practice der Arbeitslosenversicherung (Vorreiterrolle Indiens, Reform nationaler Systeme, Arbeit statt Unterstützung)



Paul wusste, dass hinter jedem der wohlklingenden Konzepte immer dasselbe Grundmuster steckte: Erhöhung der Unternehmensgewinne und der Nettoeinkommen der Besserverdie-nenden, gleichzeitige Kürzung von Einkommen der Arbeiter, Angestellten und Beamten, der staatlichen Leistungen für Krankenhäuser, Sozialeinrichtungen, Schulen/Universitäten, Arbeitslose und Rentenempfänger. Am besten alles auf das Niveau von Indien. Paul wusste auch, dass das längst keine bloßen Konzepte mehr waren, sondern Realitäten. Unternehmensgewinne und Vorstandsbezüge waren in den letzten Jahren geradezu explodiert. Großunternehmen zahlten so gut wie keine Steuern mehr. Der Spitzensteuer-satz für Spitzenverdiener war von 56 auf 42 Prozent gesenkt worden. Manager mit einem Jahreseinkommen von 300.000 Euro hatten jetzt 42.000 Euro netto mehr zur Verfügung, während das Realeinkommen von Otto Normalverbraucher um mehr als fünf Prozent gesunken war.

Kurz vor ihrem Urlaub hatte der Telekom-Vorstand angekündigt, dass das Einkommen von insgesamt 45.000 Kundendienstmitarbeitern, Service-Technikern und Beschäftigen der Call-Center um dreißig bis fünfzig Prozent auf das marktübliche Niveau sinken müsse. Das war nur die Fortsetzung dessen, was VW, Karstadt, Beiersdorf und unzählige Unternehmen in den letzten Jahren vorexerziert hatten. Das entlarvende an diesem Vorgang war für Paul, dass in diesem Fall die Bundesregierung hinter diesem Vorhaben steckte. Die große Koalition bestand bekanntermaßen aus einer christlichen und eine sozialen Partei, so nannten sie sich jedenfalls. Die Bundesrepublik war zusammen mit der staatseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau mit mehr als 40 Prozent immer noch größter Einzelaktionär der Telekom. Mehr Arbeiten für weniger Geld, so lautete der neueste Slogan. Und Paul wusste ganz genau, wer diese Lawine in Gang gesetzt hatte.

Die ärgerliche Neuanschaffung eines Zerreißwolfs hatte Paul vor zwei Wochen mächtig aufgeregt. Er hatte Alexandra in Verdacht gehabt, die Schulhefte ihres 10. Schuljahres aus Bequemlichkeit en bloc in den Zerreißwolf gesteckt und ihn damit erledigt zu haben. Spätestens jetzt hatte Paul seine Neuinvestition für 129 Euro lieb gewonnen. Ein Zerreißwolf bot doch ganz andere Möglichkeiten als ein Papierkorb. Innerhalb weniger Sekunden waren das Referentenverzeichnis und mit ihm die viel zu lange Kurzbiografie zerschnippelt.

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Gmail

Kapitel 21 - 14. Juni 2007


„Geht das Internet schon?“, wollte Paul wissen. Die Wohnung war auf Vordermann gebracht. Massieren, Einreiben und Bandagieren lagen hinter ihm. Um kurz vor 12 Uhr war er bei Gerrit gewesen, um ihm zu sagen und zu zeigen, dass die Internetverbindung nicht zustande kommt. Mittendrin hatte sich der Lap plötzlich und unerwartet selbstständig heruntergefahren. Sein Akku war leer gewesen. Ein Glück, hatte Paul sich gesagt. Er hätte sonst garantiert nicht daran gedacht, ihn wieder aufzuladen. Claudias umfangreiche Liste mit Besorgungen aller Art hatte er auch abgearbeitet. Unter anderem sollte er zwei Packungen Weißbrot mitbringen. Wozu auch immer. Es war geschnitten, labberig aber günstig - je 0,29 Euro. Er blieb lieber bei seinem Rosinenbrot mit Marzipan. Das hatte zwar nicht auf Claudias Liste gestanden, lag aber jetzt auf der Arbeitsplatte ihrer Kückenzeile.

„Nein, natürlich nicht!“, war Alexandras prompte Antwort auf Pauls Frage nach dem Internet gewesen. Sie konnte jetzt den zweiten Tag hintereinander nicht chatten und fand das gar nicht mehr lustig.
„Claudia, ich nehm deinen Lap mal mit. Ich hab in Bergen einen PC-Laden gesehen. Die haben bestimmt Ahnung.“
„Is gut!“ hatte Claudia geantwortet, ohne von ihrem Taschenbuch aufzublicken. Ein Küsschen auf die Wange und Paul war, den Lap unter dem Arm, zum BMW gegangen.

Paul war in Bergen angekommen. Der Weg mit dem Auto über den Ring um Alkmaar erschien im wieder sehr viel länger als der, den er mit dem Fahrrad zurückgelegt hatte. Paul fuhr nicht zum Bosvrede, sondern zunächst in die Wilhelminalaan. Der Lap von Claudia lag wieder auf dem Beifahrersitz. Netgear war on und online, so dass Paul die Eingänge von Marijke Vredes E-Mail-Account abfragen konnte. Paul fand zwei E-Mails. Die erste kam von Gmail selbst. Soweit Paul die niederländischen Worte verstand bzw. richtig deutete, wurde Marijke willkommen geheißen. Ihr wurden alle Möglichkeiten aufgezählt, die ihr neuer Account ihr boten. Wenn sie einmal nicht weiter wissen sollte, konnte sie sich die FAQ-Seite von Gmail aufrufen oder eine E-Mail an ihr Gmail-Serviceteam senden.

Paul kannte die inzwischen allgemein übliche Bezeichnung FAQ. Wofür die Abkürzung ganz genau stand, vergaß er regelmäßig. Er setzte für FAQ immer Fragen und Antworten für Quickborn ein. Die zweite E-Mail kam von YouTube und war ebenfalls auf Niederländisch. Sicherheitshalber übersetzte er sich im Internet einiges ins Deutsche. Auch YouTube hieß sie willkommen. Ihr YouTube-Account würde aber erst dann frei geschaltet, wenn sie durch Anklicken des folgenden Links bestätigte, dass sie es war, die den Account angemeldet hatte. Paul bestätigte es für Marijke. Anschließend testete er Marejkes Account, indem er sich auf der YouTube-Homepage mit dem Nutzernamen Video4all und dem Passwort QuoVadis einloggte. Es klappte. Marijkes Internet-Accounts hatten ihren Test bestanden.

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Paul

Outplacement (Kriminalroman)

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in meinem autobiografischen Kriminalroman, der sich seit dem 30. Oktober 2007 in Arbeit befindet. (Sollte Ihre Startseite nur ein Kapitel des Romans zeigen, klicken Sie bitte oben auf PAUL.) Für mich geht es beim Schreiben in erster Linie darum, die Geschehnisse der letzten Monate aufzuarbeiten, soweit dieses überhaupt möglich sein wird. Ich möchte hier nichts beschönigen, nichts zu erklären versuchen, mich weder rechtfertigen noch selbstbezichtigen, sondern Abstand gewinnen. Zeit zum Schreiben habe ich in diesen Tagen und Wochen weiß Gott genug. Er möge mir auch die nötige Kraft und Hoffnung geben, um den Roman und mein Leben zu einem guten Ende zu bringen. Der Gedanke daran, dass Sie und andere Leser an meinem Schicksal teilnehmen, ist tröstlich und hilfreich. Ich danke Ihnen!

Was erwartet Sie?

Ohne zuviel vorwegzunehmen: Sicherlich keine leichte Unterhaltung! Aus der Sicht desjenigen, der die Geschichte durchlebt hat, kann von 'leicht' keine Rede sein. Es geht um Hörstürze, Arbeitsplatzverlust, Aufhebungsvertrag, Midlife-Krise, Globalisierung, Outsourcing, Outplacement und Sozialabbau. Aber auch um eine kritische Grundeinstellung und eine recht unglückliche Kettenreaktion. Paul war Personalleiter mit viel Sympathie für Betriebsräte und Arbeitnehmerinteres- sen. Sie erfahren ganz viel über Paul, seine Familie, sein Lieblingsland Italien, seine Urlaubsreisen, Holland, Indien, Japan, China, das Go-Spiel, Hamburg, die Alster und 'seinen' HSV, Schleswig-Holstein, Quickborn, die Bee Gees und, ob Sie wollen oder nicht, über die 'gute' alte Zeit.

INHALT (bisher)


Moin, ich bin Paul!

Eine Art Vorwort ...

1 Ausblick ........... 2 Frühstückstisch ... 3 Ins Netz gegangen 4 Die Achillesferse . 5 Das Mittelmeer ... 6 Gastschüler ....... 7 Tour de France ... 8 Michi ............... 9 Aan Zee ........... 10 Grundsatz- diskussion ........... 11 Der Kongress .... 12 Die Macher ...... 13 Bergen ........... 14 Wilhemminalaan 15 InterRail ......... 16 Für Marijke ...... 17 Die Kernspaltung 18 Personal- management ........ 19 Simmungs- schwankung ......... 20 Die Referenten .. 21 Gmail ............. 22 Die Biografie .... 23 An der Alster ..... 24 Das Hotel ......... 25 Global ............ 26 Das Aquarium .... 27 Die Enten ......... 28 Die Fütterung .... 29 Purismus .......... 30 Hochsitze ....... 31 Eine richtige Familie ............... 32 Tönning .......... 33 Jojo .............. 34 Fußball ............ 35 Café au lait ...... 36 Führungs- grundsätze ........... 37 Uganda ............ 38 Im Internet ....... 39 Volendam ......... 40 Das Abendblatt .. 41 SONY ............. 42 Der Schwindel ... 43 Camcorder ....... 44 Die Einstellung ... 45 Piazza dei Miracoli .............. 46 Go ................. 47 Der Mensch ....... 48 Der Anruf ......... 49 Im Laufschritt .... 50 Besinnung ........ 51 Alles OK .......... 52 Positives Denken 53 Die Bootsfahrt ... 54 Indien.............. 55 Ein Traum ........ 56 Königsberger Klopse ................ 57 Negativ ........... 58 Bella Napoli ...... 59 Schizophrenie ... 60 Der Einkauf ...... 61 Betriebliche Altersversorgung .... 62 Durchgang verboten ............. 63 Finanzamt Elmshorn ............. 64 Woodstock ....... 65 Der letzte Tag ... 66 Im Wald .......... 67 Das Gespräch .... 68 Die Mutprobe .... 69 Die Bee Gees .... 70 Goede namiddag!
FORTSETZUNG FOLGT

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PAULS TOP 18 (Singles alphabetisch sortiert)

Assembly
Never Never

Badfinger
Baby Blue

Bee Gees
The Only Love

Golden Earing
When The Lady Smiles

John Fogerty
Rock And Roll Girl

Journey
Faithfully

Lake
Do I Love You

Manfred Mann
You Angel You

Marc Anthony
You Sang To Me

Mink DeVille
Each Word's A Beat Of My Heart

O-Town
These Are The Days

Paper Lace
Love Song

Peter Gabriel
Solsbury Hill

Queen
I Want To Break Free

Stevie Nicks
Talk To Me

Train
Drops Of Jupiter

Tremeloes
(Call Me) Number One

White Lion
You're All I Need

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