Kapitel 01 bis 10

Ausblick

Kapitel 1 - 13. Juni 2007


Der schnurgerade Wasserlauf bildete hier, an seiner Biegung, eine Ausbuchtung von fünfzig Metern Durchmesser wie einen von der Natur geschaffenen See. Nur wenige Meter entfernt streckten Wasserpflanzen ihre gelben Blüten gen Himmel. Am gegenüberliegenden Ufer befand sich der Friedhof des kleinen Ortes versteckt hinter einem begrünten Wall, einer Reihe von Büschen, von Lärchen und zwei größeren Trauerweiden, die ihre unteren Zweige ins Wasser hängen ließen. Trauerweiden, wie passend, dachte Paul. Vier Enten gründelten dort drüben zwischen den Seerosen. Wenn ein Fisch an die Wasseroberfläche schnellte, vernahm er ein ganz leises Platschen und beobachtete die kleinen sich ringförmig ausbreitenden und auslaufenden Wellen.

Jeder Mensch trägt einen versteckten Friedhof in sich, hatte ein Arzt im Universitätsklinikum Eppendorf vor Jahren einmal zu ihm gesagt. Paul hatte nicht sogleich verstanden. Er beteuerte aufrichtig, keine Leichen im Keller zu haben. Mit mildem Lächeln und spürbar von oben herab - einer von vielen Gründen, warum er die Ärzte und Doktoren seitdem mied wie die Pest - wurde ihm erklärt, dass der innere Friedhof keine selbstverschuldeten Vorkommnisse des Lebens verstecke, sondern erlittene. Tief begraben lägen unverarbeitete Kränkungen, Zeiten tief empfundener Lieblosigkeiten oder schockierende Erlebnisse. Diese traumatischen Lebenseindrücke wären zwar zugeschüttet und oberflächlich vergessen, sozusagen unsichtbar für das alltägliche Bewusstsein, deshalb aber keineswegs bedeutungslos. Aus ihren Grabstellen gingen sie auf Wanderschaft, jederzeit mächtig genug, um in bestimmten Momenten entscheidenden Einfluss auf das Leben zu nehmen. Sie könnten Jahre später verantwortlich sein für Verhaltensauffälligkeiten. Ja, sie könnten sogar schwerste Krankheiten auslösen. Der Arzt hatte sich natürlich anders ausgedrückt, so als wollte er sein jahrelanges Studium in fünf Minuten zusammenfassen: Somatofone Dissoziation; psychovegetative Dekompensation; Agoraphobie; unintegrierte, sensorische, motorische, viszerale und emotionale Reinszenierung traumatischer Erfahrungen.

Die Aneinanderreihung lateinischer Fachausdrücke hatte Paul mehr irritiert als überzeugt. Zudem hatte der Mann in weißem Kittel ganz allgemein und wie von einer neutralen dritten Person gesprochen. Jeder Mensch, war speziell er damit gemeint? Als der Arzt anfing, Pauls Schwindel im medizinischen Sinne als wahrgenommene Scheinbewegung zwischen ihm und seiner Umwelt zu definieren, wollte Paul zwar den Glauben an die moderne Medizin nicht ganz aufgeben, aber den an den Mediziner hatte er endgültig verloren. Er konnte mit dessen ärztlicher Theorie nichts anfangen, zumal sie keinerlei Bezug zu seinen damaligen Befindlichkeitsstörungen aufwies. Für seine wiederkehrenden Gleichgewichtsstörungen konnte der Arzt, wie alle anderen von Paul aufgesuchten Fachleute, weder eine organische Ursache noch eine ihm einleuchtende Erklärung finden. Damals wie heute war Paul sich sehr sicher, dass er niemand war, der Vergangenheitsbewältigung per innerer Beerdigung betrieb. Er hielt sich für einen Menschen, der Probleme rational verarbeitete, für einen Mann der klaren Gedanken und strukturierten Denkweise. Sogar seine Chefs hatten ihm Selbstkontrolle, Konflikt- und Problemlösungspotential bescheinigt, wie es heutzutage so schön heißt. Bei ihm konnte sich gar nichts ansammeln und aufstauen.

Paul sah eine einzelne weiße Wolke, sie löste sich langsam auf. Am Horizont zeigte sich ihm eine der holländischen Windmühlen. Die Felder schienen unbewirtschaftet oder bereits abgeerntet. Paul zählte vier baugleiche Ruderboote, jedes etwa vier Meter lang, unten schwarz und oben grün gestrichen, mit rotbrauner Oberkante und grauen Innenseiten. Jedes sehr gut geeignet für eine beschauliche Fahrt durch die Grachten, vorbei an holländischer Idylle, kleinen Häuschen und lieblichen Gärten. Eines der Boote war an den Pfahl gebunden, der mit drei weiteren die Dachterrasse der Ferienwohnung trug, die über ihrem Apartment lag. Paul atmete mehrmals tief durch, tief in den Bauch hinein. Er empfand ein angenehmes Gefühl von Ruhe und Wärme. Die Weltformel, nach der die Wissenschaftler seit Einstein suchten, verwirklichte sich für ihn in diesem friedlichen Bild, das er vor sich sah. Ebenes Land, gerade, parallel verlaufende Wasserstraßen, ein blauer Himmel, der sich im blauen Wasser spiegelte, vier Enten und vier Boote. Er liebte seit je her die klaren geometrischen Formen und die geraden Zahlen. Seine Lieblingszahl war die acht. Legte man sie auf die Seite, ergab sie das mathematische Zeichen für unendlich. Der eigentliche Grund für seine Entspannung war jedoch, dass er sich zur richtigen Zeit am rechten Ort wähnte. Die nahen und deshalb ungewohnt lauten Kirchenglocken weckten ihn aus seiner Träumerei.


Ausblick von der Terasse des Ferienappartments

Pauls Ausblick von der Terrasse des Ferienapartments in Holland.

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Frühstückstisch

Kapitel 2 - 13. Juni 2007


„Du hättest gern schon Frühstück machen können!“ Claudia, seine Frau, verschwand gleich wieder, ohne eine Antwort zu erwarten oder eine Erwiderung zu ermöglichen. Paul blieb erst einmal sitzen. Seine Tochter würde zwei weitere Stunden schlafen. Weder das eindringliche Geläut der Kirchturmglocken noch eine hypothetische Wanderung der Seelen vom benachbarten Friedhof würden daran etwas ändern, sagte er sich. Wozu also schon den Tisch decken? Claudia und er würden kaum zu zweit frühstücken.

Seine Frau lebte seit Jahren nach dem Motto: Nicht ohne meine Tochter. Dieser mütterliche Grundsatz bestimmte weite Bereiche ihres gemeinsamen Lebens, eigentlich ihr ganzes Leben. Doch Paul war Familienmensch aus Überzeugung. Er war glücklich und zufrieden, dass Claudia und Alexandra sich so gut verstanden, dass sie ein Herz und eine Seele waren. Es gab genug Unfrieden auf Erden. Er war froh, wenn ihre kleine Welt zu dritt in Ordnung war. Das war ihm wichtiger als alles andere. Paul erhob sich, gruppierte drei Stühle um den kleinen runden Terrassentisch, trug den Laptop seiner Frau in das große Zimmer ihrer Ferienwohnung zurück und legte ihn neben den SONY-Fernseher, dorthin, wo auch Alexandras Lap lag. Das sah schön aus, zwei P28 von SAMSUNG direkt nebeneinander. Als weniger schön empfand Paul die riesige Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika, die Alexandra mitgenommen und über einen eingerahmten Familienstammbaum gehängt hatte. Paul war in seiner Jugend jahrelang mit Fotos und Fernsehbildern des Vietnamkrieges bombardiert worden. Er hatte eine Art Allergie entwickelt gegen die vielen Bilder, die Napalmbomben, den DDT-Einsatz, die Massaker an der Bevölkerung, die Angst vor einem Atomkrieg und gegen die, die diesen Krieg trotz weltweiter Demonstrationen einfach nicht beenden wollten.

Das große Zimmer beherbergte neben der Sofa-Sessel-Fernsehecke, ein Doppelbett, das sich Claudia im Urlaub traditionsgemäß mit Alexandra teilte, eine Essecke mit Tisch und vier Korbstühlen und eine kleine Küchenzeile. Paul schlief im kleinen Zimmer nebenan, das gleichzeitig Durchgang war zum Wasch- und Duschraum und zum separaten WC. Claudia musste sich gerade im Waschraum aufhalten, das würde noch dauern. Bis dahin hätte Paul das Frühstück drei Mal fertig. Paul deckte den Tisch mit Toastbrot, Butter, Marmelade, Milch, Zucker, Süßstoff, Cornflakes, Nutella, Tilsiter und Salami. Claudia hatte ihren Kühlschrank zu Hause ausgeräumt und alles mitgenommen. Sie brauchten heute jedenfalls noch keine Lebensmittel einzukaufen. Die beiden Becher Kaffee, die Paul bereitete, waren ihr ‚Kaffee vor dem Frühstück’. Er gab drei kleine Pillen Süßstoff in Claudias Becher und etwas Milch. Er selbst nahm nur etwas Milch hinzu. Paul würde, nachdem Alexandra ausgeschlafen hatte, zum Frühstück zwei frische Tassen Kaffee filtern. Alexandra würde wie immer ihre Milch mit Erdbeergeschmack von Nesquick trinken.

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Ins Netz gegangen

Kapitel 3 - 13. Juni 2007


Vor einer Stunde hatte Paul versucht, seine Mails abzurufen. Der Lap fand drei drahtlose Netzwerke in Reichweite, zwei von ihnen gesichert und eines ungesichert. In das Netzwerk Gerrit, das war der Vorname ihres Vermieters, gelangte er problemlos. Das Passwort war auf einem Zettel notiert, den er gestern gleich nach ihrer Ankunft auf dem Fernseher vorgefunden hatte: R2D2Gerrit. Die beiden ebenfalls auf dem Fernseher stehenden Schildchen: Roken alleen buiten - Muziek alleen binnen - a.u.b. und Rauchen nur Draußen - Musik nur Innen - Bitte! hatten ihn amüsiert. Gerrits Router weigerte sich beharrlich, dem Lap eine IP-Adresse zuzuweisen, was er eigentlich ‚automatisch’ hätte tun sollen. Egal was Paul auch versucht hatte, er kam ins Netz aber nicht ins Internet. Den Internet-Zugang über das zweite geschützte Netzwerk hatte er gar nicht erst versucht. Ohne Passwort bestand keine Chance.

Also hatte Paul nach einer dreiviertel Stunde vergeblichen Bemühens das ungeschützte Netz Linksys ausprobiert, das einem von Gerrits Nachbarn gehören musste. Paul bekam innerhalb von Sekundenbruchteilen Zugang zum Netz und zum Internet. Ebenso schnell war er aber auch wieder draußen. Nach dem Hinweis Verbindung verfügt über keine oder eingeschränkte Konnektivität meldete der Internet-Explorer: Die Seite kann nicht angezeigt werden. Möglicherweise sind technische Schwierigkeiten aufgetreten. Paul vermutete Reichweitenprobleme. Es musste sich um einen entfernteren Nachbarn handeln.

Paul nahm den Lap, zog das Stromkabel heraus und machte sich auf den Weg über das Grundstück, entlang der Längsseite der alten Scheune, die Gerrit zu den beiden Ferienwohnungen ausgebaut hatte. Drei unterschiedlich lange Kanus waren dort kieloben aufgebockt. Er passierte den rechteckigen, etwa 1 mal 5 Meter großen, künstlich angelegten Teich, in dem ein Schwarm kleiner Fische rasend schnell hin und her schwamm, und mehrere Kunstobjekte. Gerrits Frau hatte eine künstlerische Ader und liebte ganz offensichtlich runde Formen. Der Bauch einer schwangeren Frau, ein wohlgeformtes weibliches Hinterteil, ein Ei, das von der anderen Seite betrachtet eine Welle darstellte.


Ruderboot-und-Seerosen

Paul auf seinem Weg zum Schuppen - Ruderboot und Seerosen.


Der Systemhinweis drahtlose Netzwerkverbindung ist nicht verbunden verschwand erst, als sich Paul dem Geräteschuppen näherte. Komisches Deutsch: Verbindung ist nicht verbunden, hatte Paul noch gedacht. Der Schuppen war nicht abgeschlossen und Paul war eingetreten. Er stellte den Lap auf einen ausrangierten Kühlschrank und setzte sich auf den Gepäckträger eines der abgestellten Fahrräder. In weniger als zwei Minuten hatte er seine Mails gelesen und gelöscht. Nichts von Wichtigkeit dabei. Als er den Schuppen wieder verließ, hatte er das Gefühl, etwas Unrechtes getan zu haben. Genau genommen hatte er das auch. Der Zugang über ein fremdes Netz war wohl nicht erlaubt. Aber kein Privathaushalt verfügte über eine Software, die neu einloggende Netzteilnehmer sofort meldet. Der Betreiber des Heimnetzes ahnte offensichtlich nicht einmal, dass jeder handelsübliche Computer im Umkreis von vielleicht bis zu 100 Metern über sein Netz gratis surfen und mit den entsprechenden Kenntnissen des Nutzers die Inhalte seines PC auslesen bzw. manipulieren konnte. Pauls heimliche Netzwerknutzung dürfte unbemerkt geblieben sein. Das Betreten des Schuppens am frühen Sonntagmorgen mit dem aufgeklappten Lap in den Händen war da schon etwas auffälliger.

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Die Achillesferse

Kapitel 4 - 13. Juni 2007


„Hast du heute Morgen meinen Lap spazieren getragen? Oder ward ihr in der Kirche?“ Frisch geduscht setzte sich Claudia an den gedeckten Tisch, nahm den bereitstehenden Kaffee und schaute sich um. „Schönes Fleckchen Erde! Hast du gut ausgesucht! Wo sind wir hier eigentlich?“

Typisch Claudia. Die Ferienplanung hatte sie ihm überlassen und bereits kurz hinter der Grenze war sie auf dem Beifahrersitz eingeschlafen. Müdigkeit empfindet Paul jedes Mal als ansteckend. Es war bereits dunkel gewesen und die auf holländischen Autobahnen und Landstraßen geltenden Geschwindigkeitsbeschränkungen treiben jeden deutschen Autofahrer sowieso nach wenigen Kilometern an den Rand des Sekundenschlafs. Paul war sich sicher, dass diese erzwungene, der menschlichen Natur extrem zuwiderlaufende und total einschläfernde Fahrweise die Unfallzahlen keinesfalls senken kann, sondern das genaue Gegenteil bewirken muss. Paul war jedenfalls froh gewesen, den Wagen in keine Gracht gesteuert und die Familie unversehrt ans Urlaubsziel kutschiert zu haben.

„Zu deiner ersten Frage: Wir waren auf dem Friedhof. Ich habe deinem Lap gezeigt, wo er hinkommt, wenn er nicht endlich willens ist, sich mit dem Internet zu verbinden. Und zu deiner zweiten: Holland, nördlich von Alkmaar, Broek op Langedijk, Dorpsstraat. Darf ich vorstellen? Das ist unser Ruderboot!“
„Ich dachte, du wolltest radeln bis zum Umfallen?“
„Ich war vorhin im Schuppen und habe uns schon mal drei Räder ausgesucht.“
„Meine Achillessehne macht wieder Ärger, schau mal! Hab schon länger so einen Druck verspürt aber eben unter der Dusche erst gemerkt, wie dick das geworden ist.“

Als Claudia vor neunzehn Jahren mit Krümel schwanger war, hatte sie mehr als zwanzig Kilo zugenommen. Krümel, das war ihr Arbeitstitel für das werdende Baby, von dem auf den ersten Ultraschallfotos wirklich nicht viel mehr als ein Krümel zu erkennen gewesen war. Damals machte sich Claudias Achillesferse das erste Mal bemerkbar. Das wiederholte sich, nachdem sie Krümel in Alexandra umgetauft hatten auch ohne Schwangerschaft alle paar Jahre, war zu ertragen aber meist langwierig. Nun, umso besser, Paul würde allein radeln. So konnte er Geschwindigkeit, Fahrtroute und -ziel selbst bestimmen. Ohne Claudia würde auch Alexandra nicht mitmachen. Für sie galt im Umkehrschluss: Nicht ohne meine Mutter.

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Das Mittelmeer

Kapitel 5 - 13. Juni 2007


Agios Nikolaos, Patmos, Symi, Portovenere, Atrani, Cefalù. Ein Traum. Sie waren eingefleischte Mittelmeerfans, liebten die Landschaften des Südens, die Orte, die Atmosphäre, das Essen und den blauen Himmel. Claudia bevorzugte die Beschaulichkeit und Ruhe Griechenlands, Paul mehr den Lebensstil und das liebenswerte Chaos Mittel- und Süditaliens. Claudia konnte sich jeden Tag von Griechischem Salat und Mineralwasser ernähren. Paul wählte lieber Spaghetti Carbonara oder eine Pizza Diavolo und trank einen Valpolicella dazu. Obwohl der in Norditalien angebaut wurde, schmeckte er Paul - auch zum abschließenden Gorgonzola.

Ihr erster gemeinsamer Urlaub hatte sie nach Italien geführt. Paul hatte haufenweise Erinnerungen an diesen Urlaub: An STANDA, den Supermarkt in Venedig; an die Mücken in ihrem Hotelzimmer in Padua; die gefühlte Gravitation auf dem Schiefen Turm von Pisa; an das Albergo Moderna in Lucca; die Jugendstilbauten in Viareggio; die nächtliche Fahrt im leeren Zug von Napoli nach Sorrento; an den verrückten Fahrer und die halsbrecherische Busfahrt entlang der Costa Amalfitana; an die Frühstückseier auf der Terrasse ihres Hotels in Positano und an die 100000 Lire, die Paul versehentlich als Trinkgeld im Restaurant gegeben hatte. Damals besaßen sie noch kein Auto und waren die ganze Strecke mit der Bahn unterwegs.

Strandurlauber waren sie nie gewesen und länger als vier, fünf Tage hielt es sie selten an einem Ort. Dann suchten sie sich ein neues Quartier in einer anderen Stadt. Alexandra hatte nie anderen Urlaub gemacht und sie fuhr immer noch gern mit ihnen. Auch sie liebte das Mittelmeer. Deshalb waren Claudia und Alexandra alles andere als begeistert gewesen, als ihnen Paul vor Wochen eröffnete, er müsse damit rechnen, im Urlaub vielleicht ein oder zwei Mal zurück zu müssen, ins Büro und vielleicht zu einem Kunden. Er hatte Holland vorgeschlagen, in wenigen Autostunden erreichbar. Es wäre auch besser, dieses Mal nicht umherzureisen, sondern sich eine feste Unterkunft zu buchen. Mehr als zwei Wochen wären ihm leider nicht möglich. Aber, wenn sie wollten, könnten Claudia und Alexandra gern länger bleiben. Er würde sie natürlich mit dem Wagen wieder abholen. Sie waren erst einmal in Holland gewesen, damals vor ihrer Hochzeit. Das war jetzt 23 Jahre her. Nachdem Claudia und Alexandra einen Türkeiurlaub zu zweit erwogen und wieder verworfen hatten, willigten sie wenig begeistert ein, sprachen noch einmal vom Shopping in Amsterdam und erwähnten den Urlaub fortan mit keiner Silbe mehr.

Paul hatte dieses Mal alle Vorbereitungen allein getroffen, mit Bedacht Broek op Langedijk als Urlaubsort gewählt und mehrmals den Wunsch geäußert, viel Fahrrad fahren zu wollen. Holland hätte die besten Fahrradwege der Welt, zweispurig mit eigenen Ampeln. Fahrradfahren sei gut für das Herz-Kreislaufsystem, die Kniegelenke und das Kalorienverbrennen. Das mit den Kalorien leuchtete seinen Damen spontan ein und damit war das Thema gegessen. Paul hatte seine Absicht untermauert und seit vielen Jahren das erste Mal wieder einige große Runden gedreht. So nannten sie ihre 7,2 Kilometer lange Fahrradtour, vorbei an der Feuerwehr und am Golfplatz, durch den Ortsteil Renzel, Richtung Himmelmoor und über die Pinnau wieder zurück in den Ort und zu ihrer Wohnung.

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Gastschüler

Kapitel 6 - 13. Juni 2007


„Können wir nicht auch einen Gastschüler aus Amerika nehmen?“ Alexandra war aufgewacht und las am Frühstückstisch ein Taschenbuch Der Uni-Roman. Sie las eigentlich nie, aber natürlich jetzt beim gemeinsamen Frühstück. Drinnen spielte ihre Musik, trotzdem war sie draußen mehr als deutlich zu hören. Gerrit würde seine Hinweisschildchen bald umformulieren, da war sich Paul sehr sicher. Er fühlte sich wie zu Hause. Auch hier spielte die ewig gleiche, laute Musik. Warum nicht wenigstens einmal Eve of Destruction oder wenigstens Call Me Number 1 von den Tremeloes? Paul kannte die elterliche Antwort auf Alexandras Frage. Sie lautete eher 'nicht' als 'auch', um die Worte von Alexandra zu gebrauchen. Er überließ die Beantwortung aber lieber seiner Frau.

„Wer nimmt auch einen Gastschüler?“ Claudias Gegenfragetechnik!
„Keiner, den ich kenne. Ich wollte nur wissen, ob wir einen nehmen können?“
„Einer kommt sowieso gar nicht in Frage!“ Claudia betonte das ‚einer’, um deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass sie sowieso niemanden für ein Jahr aufnehmen würden und erst recht keinen jungen Mann!
„Mama, ich mein ne Schülerin!“
„Hast du aber nicht gesagt!“
Paul sah die Stimmung kippen und bemühte sich, eine weniger ernste Note ins Gespräch zu bringen: „Wenn unsere Tochter dafür im Austausch noch einmal ein Jahr nach Amerika geht, können wir ja mal drüber nachdenken. Oder? Was meinst Du, mein Schatz?“
Aber Claudia hatte sich hochgefahren: „Erstens haben wir kein Zimmer für eine weitere Person und zweitens müsste Alexandra sich um sie kümmern - ein Jahr lang. Wenn ihre Cousins zu Besuch kommen, ist sie dazu nicht einmal zwei Stunden bereit!“ Claudia ging immer schnell zum Gegenangriff über.
„Mama, man kann eine Schülerin auch für drei Monate nehmen. Ich werde mich schon kümmern und ihr klarmachen, wie es bei uns läuft!“ Alexandra spielte die Autoritätsperson.
„Das kannst du später bei deinen eigenen Kindern machen. Ich hoffe aber, du wirst sie nicht so autoritär erziehen, sondern liberal!“
„Ich erzieh sie nicht autoritär, nicht antiautoritär und auch nicht liberal, wie du das nennst. Ich erzieh sie global.“

Paul lachte. Das war gut! Die Globalisierung war in aller Munde und für Alexandra war das Wort nicht negativ besetzt, sondern gedanklich verbunden mit Reisen um die Welt, ihr eigenes High School Jahr in Wichita/Kansas, Paris Hilton, dem Internet und eben Gastschülern aus Amerika. Mit dem Wort liberal und seiner Bedeutung konnte Alexandra dagegen so wenig anfangen, wie der Großteil der heutigen Jugend. Wozu auch? Sie konnten lange schlafen, während ihre Eltern auf sie warteten. Sie konnten beim Frühstück lesen und laut Musik hören. Alles kein Problem. Liberalität war nichts, worum sich diese Jugend Gedanken machen, geschweige denn, wofür sie sich einsetzen müsste. Sie verfügte über alle Freiheiten im Überfluss und sehnte sich sogar nach etwas Autorität. Nicht ohne Grund gaben Jugendliche, befragt nach ihrem Berufswunsch, am häufigsten Polizist an. Das wäre zu seiner Zeit ganz undenkbar gewesen und auch jetzt hatte Paul bei dem Gedanken an die Polizei kein so ganz gutes Gefühl.

Paul hatte nach Frühstück und Abwasch zuerst Claudia verarztet. Eine ewig lange Fußmassage war gefragt, vorsorglich gleich für beide Füße, obwohl nur die rechte Ferse betroffen war. Dann das Einreiben mit Mobilat. Wo hatte sie das her? Eine straffe Bandage. Die Binde hatte er aus dem Verbandkasten des Autos geholt. Er war zufrieden, das erste Mal in seinem Leben etwas aus dem Verbandkasten gebrauchen zu können. Wie viel ihn die vielen, alle Jahre wieder zu erneuernden Kästen schon gekostet hatten, darüber wollte er nicht weiter nachdenken. Dann noch einen Becher von Claudias geliebtem Rotbuschtee Orange, der immer acht Minuten ziehen musste. Und das Taschenbuch bitte noch. Paul las den Titel: Der Kindersammler. Und eine Decke. Die Terrasse lag jetzt im Schatten. Claudia ließ sich bedienen. Sie genoss ihre Achillesferse ganz offensichtlich. Anschließend kam Alexandra an die Reihe, die sich jetzt nicht wie geplant mit ihrer Mutter zum Bummel durch die Geschäfte des Ortes aufmachen konnte.


Unterwegs-mit-dem-Ruderboot

Paul und Alexandra (beide nicht im Bild) unterwegs mit dem Ruderboot.


Nachdem er mit Alexandra ausgiebig das Ruderboot ‚eingeweiht’ hatte, ging er in den Schuppen und suchte sich ein Fahrrad aus. Ein Schild verriet den Preis: FAHRRADVERLEIH / Fietsverhuur 7,50 € pro Tag 35,00 € pro Woche. Mein lieber Gerrit, dachte Paul. Das sind ja Preise. Aber das Rad war perfekt und er war zufrieden. Er fuhr los. Unterwegs ging ihm das Wort verhuur nicht aus dem Kopf. Jetzt wusste er, warum die Damen von der Herbertstraße Huren genannt wurden. Im Ort kaufte er eine Wandel- & Fietskaart van Den Helder tot Amsterdam. Das Wort tot irritierte ihn. Froh war er, dass bei seinen Großeltern in Heide, Dithmarschen, früher Plattdütsch gesprochen wurde. Er selbst konnte es nicht sprechen, aber verstehen. Holländisch schien ihm verwandt. De Streekkaart voor Vakantie en vrije tijd - Die Streckenkarte für Urlaub und Freizeit. Er faltete die Karte auf. War es Zufall oder wollte ihm die Karte den Weg weisen? Sein erster Blick fiel auf den Ort, den er jetzt aufsuchen würde - Bergen.

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Tour de France

Kapitel 7 - 13. Juni 2007


Fahrradfahrer, Fahrradfahrer, Fahrradfahrer. Paul staunte. So viele Fahrradfahrer hatte er seit ihrem Urlaub in Südfrankreich nicht mehr gesehen.


Paul-auf-dem-Weg-nach-Bergen

Paul stieg hier und da vom Rad, um ein Foto zu schießen.


Damals hatte er Claudia und Alexandra tagelang in den Ohren gelegen. Er wollte unbedingt die Tour de France miterleben, seine Damen, Alexandra war zu jener Zeit erst sechs Jahre alt gewesen, weigerten sich mitzukommen. Sie wollten partout noch einmal zur großen Düne, in deren Nähe sie mit ihrem gemieteten Wohnmobil Quartier aufgeschlagen hatten. Paul musste schließlich allein zur Tour. Allein ihre Utensilien, vor allem die in der Miniküche, so verstauen, dass sie sich während seiner Fahrt nicht verselbstständigen konnten. Er musste allein das sperrige Mobil durch die eng stehenden Kiefernstämme des Campingplatzes manövrieren und dann allein Verkehr und Landkarte gleichzeitig im Blick behalten.

Prompt verfuhr er sich gleich mehrmals und hatte die Orientierung bereits verloren, als er von fern zwei Helikopter hörte und schnell näher kommen sah. Seine Logik funktionierte besser als sein Orientierungssinn. Von den TV-Übertragungen wusste er, dass jede Tour-Etappe von mehreren Motorradkameras aber auch von Kameras aus der Luft übertragen wird. Würden sich die Hubschrauber in gleicher Richtung und mit gleichem Tempo fortbewegen, hatte er nicht mehr viel Zeit zu verlieren. Waghalsig hatte er das Mobil auf der schmalen Straße gewendet. Beinahe wäre er mit den durchdrehenden Hinterrädern aus dem sandigen Feldweg nicht wieder herausgekommen, in den er zurückgesetzt hatte. Bei dem Gedanken daran hatte Paul auch jetzt wieder den Gestank der Kupplung in Erinnerung, die sie wenige Tage darauf zwang, eine französische Werkstatt aufzusuchen.

Nach einer Rechtkurve und noch einmal fünfhundert Metern kam er nicht weiter. Es war abgesperrt. In einiger Entfernung sah er Zuschauer, nicht viel mehr als zwanzig an der Zahl. Die Hubschrauber waren jetzt direkt über ihnen und verursachten einen Höllenlärm. Paul schloss das Mobil ab und rannte los, so schnell er konnte. Als er die größere Querstraße erreicht hatte, sah er einen Pulk sich entfernender Trikots. Sie bewegten sich langsam, mit nicht mehr als 25 Stundenkilometern. Die Zuschauer begannen, den Ort des Geschehens zu verlassen. Paul wartete. Er keuchte immer noch. Das konnte unmöglich alles gewesen sein. Aber es kamen nicht einmal mehr irgendwelche Begleitfahrzeuge. Die Story hatte Claudia und Alexandra köstlich amüsiert. Sie hatte in all den Jahren immer wieder für gute Stimmung auf Partys und Familientreffen gesorgt. Damals hatte sich Paul geschworen, nie wieder zu spät zu kommen.

Heute hatte Paul alle Zeit der Welt. Die sieben Kilometer lange Strecke von Broek op Langedijk über Koedijk und Zanegeest nach Bergen legte er gemütlich in einer knappen halbe Stunde zurück. Er überlegte, wie er vorgehen sollte. Nun ist Bergen kein besonders großer Ort und er entschloss sich, ihn komplett abzufahren, sich vorsorglich alle Straßen und jedes einzelne Hotel einmal anzusehen. Seine Digitalkamera hatte er mitgenommen. Er war guter Dinge. Die Fahrradtour bei Sonnenschein und leichtem, angenehmem Wind hatte seinen Kopf freigepustet. Deshalb machte es ihm auch nichts aus, dass er vergeblich nach einem Fremdenverkehrsbüro Ausschau hielt. Es sollte sich im 4,5 Kilometer entfernten Bergen aan Zee befinden, einer Nachbargemeinde oder einem anderen Ortsteil? Paul wusste es nicht. Es war ihm auch egal. Er befragte kurz seine Wandel- & Fietskaart, überlegte nicht lange und fuhr weiter, Richtung Nordsee, die Eeuwigelaan und den Zeeweg entlang.

Beim Radeln kam ihm die Eeuwigelaan gar nicht so ewig lang vor. Parallel zur Straße führte der Radweg durch Schatten spendenden Laubwald, vorbei an noblen Villen auf riesigen Grundstücken, vergleichbar den Anwesen an der Elbchausse in Hamburg. Ihre Eigentümer mussten unverschämt reich sein. Solche Vermögen konnten sie nicht mit ihrer Hände Arbeit angehäuft haben. Der Baumbestand war so dicht, dass die Autos ihre Scheinwerfer eingeschaltet hatten. Paul wurde es fast ein wenig zu kühl. Viel schwerer als die Eeuwigelaan fiel Paul der Zeeweg, der sich über die Dünen schlängelte. Das kilometerlange Auf und Ab war nicht nur anstrengend, es kam für Paul total überraschend. Das hatte er im ansonsten flachen Nordholland überhaupt nicht erwartet. Erschwerend kam hinzu, dass der Gegenwind spürbar zunahm, je näher er der Nordsee kam. Westwind. Paul hatte ganz vergessen, sich etwas zu trinken mitzunehmen.

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Michi

Kapitel 8 - 13. Juni 2007


Ewig lange hatte Paul seinen alten Kumpel und Arbeitskollegen nicht mehr gesprochen gehabt. Seitdem dieser das Angebot der Firma angenommen hatte und nach Frankfurt in die Zentrale gewechselt war, wurden ihre Telefonate immer seltener.

„Hallo Michi! Hier Paul! Paul! Paul Sommer, aus dem hohen Norden!“
„Mensch Paul, altes Haus, wie gehts?“
„Danke, sehr gut und dir? Wie läufts in Frankfurt? Was macht das Liebesleben?“
„Kennst mich ja. Bei der vielen Arbeit bleibt dafür doch gar keine Zeit.“ Paul hörte Michaels schelmisches Grinsen förmlich durch die Telefonleitung.

Paul hatte miterlebt, wie Michaels Ehe in die Brüche ging. Michael kam das Jobangebot aus Frankfurt damals sogar sehr gelegen. Nicht nur wegen seiner zerrütteten Ehe. Nicht nur, weil sein Arbeitsplatz in Hamburg, wie viele andere auch, abgebaut wurde. Sondern weil der Grund für seine Eheprobleme mit nach Frankfurt wechselte: Tatjana Weber, damals 30 Jahre junge Chefsekretärin. Genauer: Sekretärin ihres gemeinsamen Chefs. Michael hatte mit dieser Romanze nicht nur seine Ehe, sondern auch gleich noch seinen guten Job riskiert. Aber es war gut gegangen. Nicht das mit seiner Ehe, aber jobmäßig hatte er sich sogar noch etwas verbessert. Aus der Romanze mit Tatjana war inzwischen Freundschaft geworden. Paul kannte Michael gut und er ahnte, dass Michael und Tatjana wohl eher eine dauerhaft ‚romantische’ Freundschaft pflegten.

„Was kann ich für dich tun, Paul?“
„Danke Michi, ich ruf wirklich nur mal so an, ohne besonderen Grund. Was macht die Eintracht. Der Takahara hat bei euch ja doch noch das Toreschießen gelernt. Wie gehts Tatjana?“
„Der heißt bei uns inzwischen Sushi-Bomber. Schießt jedes Spiel mindestens ein Tor. Wie konnte der HSV solch ein Juwel nur gehen lassen?"
"Lasst uns bitte nicht über diesen Club sprechen. Wie gehts Tatjana?"
"Oh, weiß nicht. Ich glaub, es geht ihr gut. Buschmann fährt im Juni ein paar Tage auf Dienstreise, hält in Amsterdam wieder einen seiner berühmten Vorträge. Internationaler Kongress zum Thema HR-Management in Zeiten der Globalisierung oder so. Stell dir vor, er fährt ohne seinen Chauffeur und nächtigt in einem Hotel in Bergen!“ Paul kannte Michaels Hintergedanken! Typisch!
„Fährt er immer noch seinen Firmen-Jaguar?“
„Ja, auch der neue ist wieder schwarz. Im Vertrauen: 220.000 Euro! Doch das ist gar nicht der Punkt! Der Punkt ist, dass es irgendwann mal einer versucht. Peng! Aber dann leider scheitert. Der Jaguar ist gepanzert! Seine Frau soll darauf bestanden haben.“ Michi war wie immer zu Scherzen aufgelegt.
„Dann hat Tatjana ja Zeit für Dich. Wo fahrt ihr denn hin?“
„Das ist doch noch lange hin. Und wir fahren wirklich nur am Wochenende! Nach Paris, Saint Germain.“

Das war Anfang Mai gewesen.

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Aan Zee

Kapitel 9 - 13. Juni 2007


Paul verließ das Fremdenverkehrsbüro und ließ das Fahrrad kurzerhand stehen. Er hatte 11,5 Kilometer zurückgelegt bei Nullkommanull CO2-Ausstoß. (Dass auch der nicht Auto fahrende Mensch mit dem eigenen Atem CO2 freisetzt, daran hatte er in diesem Moment nicht gedacht.) Er war mächtig stolz auf sich und gönnte sich auf der Terrasse vom Strandrestaurant ein Bier, dessen Größe ihn in Erstaunen versetzte. Das gehört wirklich mit Lupe serviert, ärgerte er sich. 0,2 cl – unglaublich!

In ihrem Schwedenurlaub hatte er vor Jahren im Supermarkt Spirituosenflaschen fotografiert, die in Originalgröße im Regal standen aber nur zu einem Viertel gefüllt waren. Paul hatte zunächst einen Alkoholiker unter dem Verkaufspersonal in Verdacht gehabt. Aber das musste mit der Gesetzgebung oder dem Steuersystem in Schweden zu tun haben. Die schwedischen Preise hatten jedenfalls 'Originalgröße'. Sein holländisches Bierglas war zwar bis zum Rand gefüllt, aber so klein, wie er es nicht für möglich gehalten hätte. Für den Größenvergleich lehnte er ein 2-Euro-Stück an das Glas und schoss ein Foto: Im Vordergrund wenig Bier, eine 2-Euro-Münze, seine Wandel- & Fietskaart, ein Stadtplan von Bergen, ein Hotelverzeichnis und im Hintergrund viel Nordsee.


Paul-an-der-Nordsee

Die Nordsee zeigte sich Paul von ihrer schönsten Seite


Bergen aan Zee hatte außer dem Fremdenverkehrsbüro, seinem schönen Strand und den Strandcafes nicht viel zu bieten. Eigentlich gar nichts, dachte Paul. Vielleicht noch das Seeaquarium, an dem er vorbei gegangen war. Das Minibier nicht zu vergessen, wo gab es so etwas schon. Ein weiteres bemerkenswertes Detail erkannte Paul, als er zu seinem Fahrrad zurückkam. Zufällig schaute er auf den Parkgebühren-Automaten, neben dem er sein Fahrrad geparkt hatte. Die Gebühr für eine Stunde Parken betrug 1,23 €! Nicht 1,00 €, nicht 1,50 €, nicht einmal 1,20 €, sondern 1,23 €! Und auch noch drei ungerade Ziffern in einer kleinen Parkgebühr! Das beschäftigte Paul. Wer mochte nur auf diesen Einfall gekommen sein? In Deutschland drohte jedem gleichermaßen kreativen Mitarbeiter, der auch noch die Unverfrorenheit, den Mut oder die Naivität besaß, solche Vorschläge zu unterbreiten, ganz schnell die Arbeitslosigkeit.

Es war bereits 17 Uhr 20, was Paul im ersten Moment verwunderte. Dann fiel ihm ein, dass sie erst um 11 Uhr mit dem Frühstück begonnen hatten. Um 20 Uhr, so hatte er versprochen, wollte er zurück sein in Broek op Langedijk. Er kalkulierte eine volle Stunde Fahrtzeit ein - trotz zu erwartendem Rückenwind vorsichtshalber etwas mehr als er für die Herfahrt gebraucht hatte. Blieben ihm für Bergen nur gut 1 ½ Stunden. Pauls Zeitplanung entspannte sich, als er das Hotelverzeichnis studierte und feststellte, dass es in Bergen weniger Hotels gab als er angenommen hatte. Unter ihnen nur ein einziges 5-Sterne- und auch nur ein 4-Sterne-Hotel, das Bosvrede und das Best-Western Hotel Marijke. Die beiden wollte er sich noch ansehen.

Während das 4-Sterne Best Western Marijke im Zentrum von Bergen direkt an der Dorpsstraat lag und Paul nicht besonders gefiel, war das Bosvrede im Nordwesten der Stadt in den Wald hinein gebaut. Es war wunderschön gelegen. Mit seinen 22 Zimmern und zehn Suiten war es klein, ja fast intim und vor allem - abgelegen. Es war umgeben von einem zum Hotel gehörenden elf Hektar großen, bewaldeten Dünengebiet. Paul war sich am Nachmittag sofort sicher gewesen, das ‚richtige’ Hotel gefunden zu haben. Er war vom Wind zerzaust und in Freizeitklamotten vom Fahrrad gestiegen. So wollte er das Hotel nicht betreten. Er hätte sowieso nicht mehr ausreichend Zeit gehabt, es von innen zu erkunden. Das hatte er sich für seinen nächsten Besuch vorgenommen.

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Grundsatzdiskussion

Kapitel 10 - 13. Juni 2007


Claudia deckte den Tisch ab. Sie war nicht gut drauf. Paul war erst mit zehnminütiger Verspätung zurückgekehrt. Die Spaghetti waren nicht mehr al dente und da sie sonst auch noch kalt geworden wären, hatten seine Damen bereits mit dem Essen begonnen. Jetzt fegte er die Räume und Alexandra wandte sich ihrem Lap zu. Paul brauchte nur in Claudias Gesicht zu blicken, um zu wissen, dass ein Gewitter bevorstand. Er wusste auch, dass es sich an ganz anderer Stelle entladen würde. So war es bei Claudia immer. Die anstehende Auseinandersetzung würde sich nicht um die Verspätung drehen. Zehn Minuten waren ja auch kaum der Rede wert. Es würde auch nicht um ihre dick gewordene Ferse gehen. Es gab in einer solchen Situation keine Möglichkeit, dem Gewitter zu entkommen oder es gar abzuwenden. Schade, er hatte gehofft, sie würden ihren ersten Urlaubsabend ganz gemütlich und bei guter Stimmung verbringen. Es traf ganz unverhofft Alexandra.

„Könntest du dich an den allgemeinen Aufgaben bitte auch Mal beteiligen?“
Was soll ich bitte tun?“ Alexandra versuchte sich auch ab und zu in der Gegenfragetechnik, beherrschte sie aber noch nicht im Geringsten.
„Zum Beispiel abwaschen!“ Sie hatten leider keinen Geschirrspüler vorgefunden.
„Hab ich heut Morgen schon gemacht!“
„Ich meinte das auch grundsätzlich!“
Alexandra: “Jetzt beginnt Mama wieder eine ihrer Grundsatzdiskussionen!“

Das Gewitter zwischen seinen Damen war jedes Mal reinigend. Für Gewitter zwischen Claudia und ihm ließ sich das leider nicht behaupten. Von daher war es gut, dass es sich heute an Alexandra entladen hatte. Deshalb brauchte Paul kein schlechtes Gewissen zu haben. In einer halben Stunde würden Claudia und Alexandra einträchtig vor dem Fernseher sitzen und Let’s dance gucken. Das war eine dieser modernen Promi-Sendungen. Prominente konnten Tanzen, Turmspringen, im Gefängnis sitzen oder sonstige Belanglosigkeiten vollführen. Mit Kerkeling, Raab, Klum oder Pocher war ihnen ein Millionenpublikum sicher. Paul hatte dafür kein Verständnis. Seine beiden Damen waren immer dabei. Paul selbst schaute vielleicht ab und zu ein Fußballspiel, aber auch das nicht mehr so regelmäßig wie früher. Pauls Freizeitplanung richtete sich seit Jahren nach dem Fernsehprogramm und den Fernsehgewohnheiten seiner Familie.

So auch heute. Ab 21 Uhr 15 würde er sich einen Lap schnappen und die Wohnung verlassen. Morgen wollte er wieder ein paar Kalorien verbrennen. Für übermorgen konnte er sich nichts vornehmen. Alexandra hatte in den USA auf der High School eine Schülerin aus Amsterdam kennen gelernt, mit der sie sich am Freitag den neuen Harry Potter-Film ansehen wollte, auf Englisch. Ohne Alexandra musste er damit rechnen, dass Claudia ihn verplanen würde oder bereits verplant hatte - Kaffeetrinken an der Nordsee, Abendessen in Amsterdam und natürlich Alexandra des nachts abholen. Alexandra konnte sich ein Jahr vollkommen vogelfrei und ohne Schaden zu nehmen in den Vereinigten Staaten bewegen: Wichita, Kansas City, Oklahoma City, Dallas. Von Amsterdam würde sie die paar Kilometer nach Broek op Langedijk - es waren keinesfalls mehr als vier oder fünf Bahnstationen - unmöglich allein zurücklegen. Sie würden sie natürlich abholen.

In der kommenden Woche würde Paul mehr Zeit für sich benötigen.

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Paul

Outplacement (Kriminalroman)

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in meinem autobiografischen Kriminalroman, der sich seit dem 30. Oktober 2007 in Arbeit befindet. (Sollte Ihre Startseite nur ein Kapitel des Romans zeigen, klicken Sie bitte oben auf PAUL.) Für mich geht es beim Schreiben in erster Linie darum, die Geschehnisse der letzten Monate aufzuarbeiten, soweit dieses überhaupt möglich sein wird. Ich möchte hier nichts beschönigen, nichts zu erklären versuchen, mich weder rechtfertigen noch selbstbezichtigen, sondern Abstand gewinnen. Zeit zum Schreiben habe ich in diesen Tagen und Wochen weiß Gott genug. Er möge mir auch die nötige Kraft und Hoffnung geben, um den Roman und mein Leben zu einem guten Ende zu bringen. Der Gedanke daran, dass Sie und andere Leser an meinem Schicksal teilnehmen, ist tröstlich und hilfreich. Ich danke Ihnen!

Was erwartet Sie?

Ohne zuviel vorwegzunehmen: Sicherlich keine leichte Unterhaltung! Aus der Sicht desjenigen, der die Geschichte durchlebt hat, kann von 'leicht' keine Rede sein. Es geht um Hörstürze, Arbeitsplatzverlust, Aufhebungsvertrag, Midlife-Krise, Globalisierung, Outsourcing, Outplacement und Sozialabbau. Aber auch um eine kritische Grundeinstellung und eine recht unglückliche Kettenreaktion. Paul war Personalleiter mit viel Sympathie für Betriebsräte und Arbeitnehmerinteres- sen. Sie erfahren ganz viel über Paul, seine Familie, sein Lieblingsland Italien, seine Urlaubsreisen, Holland, Indien, Japan, China, das Go-Spiel, Hamburg, die Alster und 'seinen' HSV, Schleswig-Holstein, Quickborn, die Bee Gees und, ob Sie wollen oder nicht, über die 'gute' alte Zeit.

INHALT (bisher)


Moin, ich bin Paul!

Eine Art Vorwort ...

1 Ausblick ........... 2 Frühstückstisch ... 3 Ins Netz gegangen 4 Die Achillesferse . 5 Das Mittelmeer ... 6 Gastschüler ....... 7 Tour de France ... 8 Michi ............... 9 Aan Zee ........... 10 Grundsatz- diskussion ........... 11 Der Kongress .... 12 Die Macher ...... 13 Bergen ........... 14 Wilhemminalaan 15 InterRail ......... 16 Für Marijke ...... 17 Die Kernspaltung 18 Personal- management ........ 19 Simmungs- schwankung ......... 20 Die Referenten .. 21 Gmail ............. 22 Die Biografie .... 23 An der Alster ..... 24 Das Hotel ......... 25 Global ............ 26 Das Aquarium .... 27 Die Enten ......... 28 Die Fütterung .... 29 Purismus .......... 30 Hochsitze ....... 31 Eine richtige Familie ............... 32 Tönning .......... 33 Jojo .............. 34 Fußball ............ 35 Café au lait ...... 36 Führungs- grundsätze ........... 37 Uganda ............ 38 Im Internet ....... 39 Volendam ......... 40 Das Abendblatt .. 41 SONY ............. 42 Der Schwindel ... 43 Camcorder ....... 44 Die Einstellung ... 45 Piazza dei Miracoli .............. 46 Go ................. 47 Der Mensch ....... 48 Der Anruf ......... 49 Im Laufschritt .... 50 Besinnung ........ 51 Alles OK .......... 52 Positives Denken 53 Die Bootsfahrt ... 54 Indien.............. 55 Ein Traum ........ 56 Königsberger Klopse ................ 57 Negativ ........... 58 Bella Napoli ...... 59 Schizophrenie ... 60 Der Einkauf ...... 61 Betriebliche Altersversorgung .... 62 Durchgang verboten ............. 63 Finanzamt Elmshorn ............. 64 Woodstock ....... 65 Der letzte Tag ... 66 Im Wald .......... 67 Das Gespräch .... 68 Die Mutprobe .... 69 Die Bee Gees .... 70 Goede namiddag!
FORTSETZUNG FOLGT

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Aurisa - 30. Aug, 13:02
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Kapitel 69 - 18. Juni 2007 Um sich abzuspannen,...
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PAULS TOP 18 (Singles alphabetisch sortiert)

Assembly
Never Never

Badfinger
Baby Blue

Bee Gees
The Only Love

Golden Earing
When The Lady Smiles

John Fogerty
Rock And Roll Girl

Journey
Faithfully

Lake
Do I Love You

Manfred Mann
You Angel You

Marc Anthony
You Sang To Me

Mink DeVille
Each Word's A Beat Of My Heart

O-Town
These Are The Days

Paper Lace
Love Song

Peter Gabriel
Solsbury Hill

Queen
I Want To Break Free

Stevie Nicks
Talk To Me

Train
Drops Of Jupiter

Tremeloes
(Call Me) Number One

White Lion
You're All I Need

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