Kapitel 51 bis 60

Der Einkauf

Kapitel 60 - 18. Juni 2007


Paul hatte sich beim Frühstück sehr bemüht, so zu tun, als sei gar nichts gewesen. Er zeigte sich von seiner liebenswürdigsten Seite. Als ihm das alles nicht half, stellte er seinen Ausbruch als ganz natürlichen Reflex auf Claudias ewiges Generve dar. Jedem anderen wäre es genauso ergangen wie ihm. Jedem wäre es irgendwann zuviel gewesen, immer wieder als negativ, unnormal und damit letztendlich als ein wenig verrückt hingestellt zu werden. Er sei ja wirklich den ganzen Sonntag positiv gewesen. Und kaum sagte er abends nur einmal 'So ein Unsinn', schon wird er wieder abgestempelt und in die alte Schublade geworfen. Dabei hätte er im Internet etwas gelesen, das sogar sie, seine Damen, als Unsinn abgetan hätten.

"Schwachsinn hast du gesagt.", korrigierte ihn Alexandra. "Was hast du denn gelesen?", wollte sie wissen. Soweit waren sie ihm also schon gefolgt. Damit hatte er sie auf der richtigen Schiene. Jetzt brauchte er nur noch eine plausible Antwort.
"Kannst du mir bitte mal die Kalbsleberwurst rüberreichen?", bat er Claudia. "Danke! Ich glaube, es ging um die Schulreform und darum, dass der Artikel sich für eine Abschaffung der Gymnasien aussprach, mit dem Argument, nur so die schulischen Leistungen auf ein international konkurrenzfähiges Niveau anheben zu können. Du kennst ja die Pisa-Debatte."
"Das ist wirklich der größte Quatsch! Mama! Ich hab keine Lust mit den Typen aus der Realschule zusammen in eine Klasse zu gehen. Mit den Chaoten aus der Volksschule erst recht nicht. Dann geh ich lieber ab!"
"Sag ich doch! Nach Mamas Negativismus-Positivismus-Theorie hätte ich diesen Unsinn noch gutheißen sollen.", fühlte sich Paul schon wieder viel besser. Da hatte er sich noch einmal herausgewunden.

Nach einem Blick auf die Uhr ließen sie alles stehen und liegen. Sie waren spät dran. Alexandra suchte ihre Habseligkeiten für den Tag zusammen. Claudia unterzog ihr Äußeres vor dem Spiegel einer letzten Inspektion und Paul holte den Wagen. Mit fliegenden Fahnen ging es nach Heerhugowaard, wo sie dann aber doch noch fünf Minuten auf den Zug nach Amsterdam warteten. Paul winkte seinen Damen hinterher. Er ging an seinem BMW vorbei, überquerte den Parkplatz und die Straße, auf deren anderer Seite er eine Bank mit Geldautomat gesehen hatte. Er wollte den Camcorder bar bezahlen. Für die Hausarbeiten hatte er noch den ganzen Tag Zeit. Also fuhr er gleich weiter nach Alkmaar. Insgeheim fürchtete er, dass der SONY-Camcorder dort nicht vorrätig sein würde und er entweder einen anderen nehmen oder sich doch noch nach Amsterdam aufmachen müsste. Oder war das zu negativ gedacht? Paul musste über sich selbst schmunzeln.

Und siehe da, es war zu negativ gedacht. Obwohl das Geschäft keine große Auswahl bot, nicht mehr als vielleicht zwölf verschiedene Camcorder, war seiner dabei. Er unterhielt sich mit dem Verkäufer auf Englisch, ließ sich alle Funktionen erklären und probierte sie gleich im Laden aus. Zuerst verschlug ihm der Zoom die Sprache. Das war ja unglaublich. Dann war es der Preis. Er meinte sich zu erinnern, dass er im Internet etwas von 'ab 439' gelesen hatte. Hier sollte der Camcorder 698 Euro kosten. Er hätte es sich eigentlich denken können. Die Internetshops sind immer etwas günstiger, da sie ohne Ladenmiete etc. ganz anders kalkulieren können. Und bei Angeboten mit dem kleinen Wörtchen 'ab' war ja immer Vorsicht geboten. So gesehen gingen die 698 Euro wahrscheinlich sogar in Ordnung. Der Ersatzakku kostete auch noch einmal 78 Euro. Paul zahlte bar.

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Schizophrenie

Kapitel 59 - 17. Juni 2007


Pauls Lippen bewegten sich nicht. Er gab keinen einzigen Ton von sich. Er konnte allerdings auch nicht so gut singen wie Vico Torriani. Dafür spielte die Musik in ihm:

O du mein Napoli,
dich muss man lieben!

Wer dich nur einmal sah,
ist treu dir geblieben!
Kann ich dich wiedersehn,
dann ist das Leben schön.

Santa Lucia,
Santa Lucia!
Da wohnt das Glück für mich.
Was bin ich ohne dich!

Santa Lucia,
Santa Lucia!

Nach außen wirkte Paul oft verträumt und unbeteiligt. Er nahm nicht so recht am Leben teil, das sich um ihn herum abspielte. Er blieb immer ein wenig reserviert und zurückhaltend. Der Großteil seines Lebens spielte sich in ihm ab. So wenig wie er sich am Leben der anderen beteiligte, so wenig ließ er andere an seinem Leben teilhaben. Sein Klassenlehrer in der Mittelschule, hatte sich am Ende des letzten Schuljahres von jedem Schüler verabschiedet. Vor der Klasse stehend hatte er es bedauert, Paul selbst nach sechs gemeinsamen Schuljahren nicht wirklich kennengelernt zu haben. Paul hatte sich nie geöffnet.


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Die Tür zu Pauls ehemaligem Klassenzimmer in der Realschule Garstedt. Garstedt ist heute ein Stadtteil von Norderstedt.


"Papa! Aufwachen! Du träumst schon wieder!"
"Er fischt bestimmt wieder im Trüben. Wir kennen ihn ja. Da kann er sich noch so viel vornehmen."

Durch Claudias Worte wurde Paul immer ganz schnell und wirkungsvoll in die Realität zurückbeordert. Da fiel es ihm auch gar nicht schwer, sich zu erinnern, was er eigentlich vorgehabt hatte. 'Ein Pessimist ist ein Optimist, der nachgedacht hat.', stand auf dem Display von Claudias Lap, der auf seinen Oberschenkeln ruhte. Er hatte den roten Faden wiedergefunden und tippte 'negativismus' in die Tastatur. Paul traute seinen Augen nicht. Er hatte erwartet, in etwa Folgendes angezeigt zu bekommen: Es wurden keine Webseiten gefunden, in denen der eingegebene Suchbegriff vorkommt. Vergewissern Sie sich, dass sie das Wort richtig geschrieben haben. Probieren Sie andere oder allgemeinere Suchbegriffe. Stattdessen wurden ihm 784 Treffer angezeigt. So viele Internetseiten, auf denen das Wort 'Negativismus' vorkam!? Damit hatte er bis zum Ende seines Urlaubs genügend Lesestoff. Allein ihm fehlte die Lust. Aber seine Neugierde war schon ein wenig geweckt. Zuerst wieder Wikipedia.de:

'Negativismus
In der westlich-orientierten Psychiatrie wird im Zusammenhang mit der Diagnose 'katatone Schizophrenie' Negativismus als Symptom genannt.
'

Das war kurz, bündig und erschreckend deutlich! Paul war ziemlich geschockt. Außer ein paar Ausführungen zur Bedeutung des Begriffs Negativismus in der Philosophie stand da nichts, nichts weiter. Solch eine Kernaussage hatte er wirklich am allerwenigsten erwartet. Bisher war er mit Wikipedia immer sehr zufrieden gewesen. Vielleicht hatte Claudia nicht so ganz unrecht, wenn sie ihn ab und zu als etwas negativ empfand. Ihre Ausdrucksweise war halt kräftig, deshalb verwendete sie das Wort Negativismus. Aber schizophren? Das war ja wohl ein schlechter Scherz! Er fühlte sich auf der sicheren Seite. Das konnte ja gar nicht angehen. Deshalb war es für ihn auch gar kein Problem, sich das Ganze noch etwas genauer anzuschauen. Er googelte 'Schizophrenie'. Wieder eine Unmenge von Treffern. Wahllos klickte Paul und las, wohin sein Blick gerade fiel:

'Die Schizophrenie hat eine multifaktorielle, komplexe Genese, vorwiegend ist sie jedoch auf genetische Faktoren zurück zu führen.'

Diese blöde Rechtschreibreform. Das musste doch 'zurückzuführen' heißen. Zusammengeschrieben natürlich! Jetzt schrieb kein Mensch mehr richtiges Deutsch. Wie hatte eine Ministerin von Schleswig-Holstein so schön gesagt? Mit der Rechtschreibreform solle es den ausländischen Mitbürgern erleichtert werden, mit der deutschen Sprache zurechtzukommen. Das hatte gut funktioniert. Was die deutsche Rechtsschreibung anging, fühlte sogar er sich jetzt wie ein Ausländer. Die Ausländer mussten sich schreibtechnisch wie unter ihresgleichen vorkommen. Perfekte Einbürgerung! Tolle Politik!

Paul hatte sich vom Thema abbringen lassen. Was bedeutete denn das? Multifaktor... Aha, die Schizophrenie kann durch alles Mögliche ausgelöst werden. Vorwiegend genetisch. Oh, meistens ist sie aber in die Wiege gelegt. Von Geburt an!! Claudias Worte! Jetzt hatte Paul genug!
"So ein Schwachsinn!!", entfuhr es ihm.
"Papa!", kam die prompte Reaktion von Alexandra.
"Sag ich doch. Das kann Papa einfach nicht durchhalten. Gleich wieder ein Rückfall in alte Zeiten. Negativismus pur!" Claudia fühlte sich total bestätigt.
"Um was hatten wir gewettet?"
"Jetzt haltet endlich Mal auf mit diesem ewigen Negativismus. Ich will das nicht noch einmal hören! Ich bin nicht schizophren!", schrie Paul.
"Wie kommst du denn darauf. Das hat doch gar keiner behauptet.", verteidigte sich Claudia. Seine Damen schauten sich verständnislos an.
"Was ist denn mit Papa los?"

Paul ging ins Bett.

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Bella Napoli

Kapitel 58 - 17. Juni 2007


Paul liebte die Freiheit, vor allem seine eigene. Er mochte nicht permanent kritisiert, erzogen und herumkommandiert werden. Aber wer mochte das schon? Die InterRail-Reise war sein erster Ausbruch aus dem engen Elternhaus gewesen, in dem sein Leben in ein festes Erziehungsschema, in vorgegebene Regeln und starre Zeiten gepresst wurde.

Wie er darauf gekommen war, Neapel als ein Ziel seiner Reise auszuwählen, wusste er nicht mehr. Italien war nach Deutschland und Österreich des Deutschen liebstes Urlaubsland gewesen. Spanien lag für damalige Verhältnisse zu weit entfernt. Die Adriaküste um Rimini war dagegen leichter zu erreichen. Aber wieso ausgerechnet Neapel? Sicher, von den Inseln Capri und Ischia hatte er gehört. Vom Vesuv natürlich auch. Aber Paul wollte nach Neapel. Warum? Vielleicht wegen der beiden Lieder 'O mia bella Napoli' und 'In Santa Lucia'? Das mag zur Hälfte stimmen. Noch heute nannte Paul sein Neapel liebevoll 'O mia bella Napoli'. Dass Neapels Hafenviertel, dieser quirlige, verwinkelte Stadtteil mit dem pulsierenden Leben und den Ausblicken auf den geschichtsträchtigen Vesuv, Santa Lucia hieß, das erfuhr er erst einige Jahre später. Neapel sei ein auf die Erde gefallenes Stück vom Himmel, so sagen die Italiener.

Paul vermutete, dass ihn ein altes italienisches Sprichwort verzaubert hatte: Vedi Napoli e poi muori. In deutscher Übersetzung besagte das Sprichwort: Neapel sehen und sterben. Für Paul drückte sich darin das Höchste der Gefühle aus. Das hätte von Shakespeare sein können. Er wusste nur eins, er wollte schon sein Leben lang nach Neapel. Claudia hätte gesagt, von Geburt an. Er konnte die Italiener voll verstehen. Auch er himmelte Neapel an. Nachdem sein erster Versuch, dorthin zu gelangen, 1972 am Ausbruch der Cholera gescheitert war, übertrug er Neapel als Urlaubsziel in seine Urlaubsplanung für 1973. Neapel blieb das einzige Urlaubsziel für dieses Jahr - Neapel sehen und sterben. Nein, ans Sterben dachte Paul weiß Gott nicht. Er plante sogar schon weiter im Voraus. Die übernächsten Sommerferien musste er sich für die in Deutschland stattfindende Fußball-Weltmeisterschaft freihalten, und erst in drei Jahren nach Neapel? So lange wollte er nicht mehr warten.

Es soll ja nicht selten vorkommen, dass das, was einem verwehrt bleibt, was einem unerreichbar erscheint, einen nur umso größeren Reiz ausübt. So war es Paul sicherlich auch mit Neapel ergangen. Nichts gegen Wien, Davos und Bern. Für die siebziger Jahre aber alles ein bisschen zu bieder. Jedenfalls ließ sich Paul durch die Cholera nicht entmutigen. Auch nicht durch ein Wort seines Geografielehrers, der das 'sterben' in 'Neapel sehen und sterben' mit dem neapolitanischen Zweig der Mafia, der Camorra, in Zusammenhang gebracht hatte.


P1010001

Pauls ehemalige Schule am Aurikelstieg in Norderstedt war eine der ersten Schulen mit eigenem Schwimmbad


Zwölf Monate später war es dann soweit. Nur wenige Meter von der Stazione Centrale, dem Hauptbahnhof, direkt an der belebten Piazza Garibaldi quartierte er sich ein. Er blieb zwei Wochen, atmete Neapel und verliebte sich. Hier sah er kein Streben nach Wohlstand ohne Rücksicht auf Verluste im Zwischenmenschlichen. Hier galten nicht Leistung, Leistung über alles und Ordnung aus Prinzip. Hier hetzten keine miesepetrigen Gesichter umher. Hier sah er liebenswertes Chaos, Leben und Lebensfreude in all der Armut. Das faszinierte Paul an Napoli. Das vermisste er an seinem Zuhause aber auch bei sich selbst. ‚Man muss Chaos in sich haben, um einen Stern zu gebären.’ Von wem war das doch gleich? Nietsche? Ja, Nietsche! An der Piazza Garibaldi wurde vornehmlich abends alles Mögliche feilgeboten und verkauft: Zigaretten, Lotterielose, Plastikspielzeug, Glückspiel und mehr.

Als Paul eines Abends vom Hafen zurückkehrte, er war in San Angelo auf Ischia gewesen, sprach ihn plötzlich eine Dame an, die einige Jahre älter war als er. Sie hatte nur ein Wort gesagt: "Andiamo?". Paul bereute häufig in seinem Leben und noch heute, dass er in der Schule diese Singsang-Sprache Französisch hatte lernen müssen. Das war ihm mehr schlecht als recht gelungen. Sehr viel lieber hätte er Italienisch gelernt. Erst später hatte er sich das Wort 'andiamo' übersetzt, was gar nicht so einfach war, da es als Verb/Tätigkeitswort nur in der Form des Infinitiv im Wörterbuch stand. Andare - gehen, aufbrechen, weggehen, fahren. Aber auch das hatte ihm in seiner noch jugendlichen Naivität nicht weitergeholfen. Wirklich erst sehr, sehr viel später war ihm klargeworden, was die Dame da feilgeboten hatte. Liebesdienste. 'Andiamo?' heißt 'Gehen wir?'.

Erst nachdem er sich Napoli erschlossen hatte, erkundete Paul Napolis Umgebung und er entdeckte weitere Lieblingsorte: Das atemberaubend schöne Positano und die Tempelanlage des antiken Paestum, von der für Paul in der Tat etwas Heiliges ausging. Erst bei seinem sechsten, Claudias zweitem und Alexandras erstem Besuch Neapels vor vier Jahre, kamen Procida und Atrani hinzu. Dafür strich er Positano wieder, das inzwischen zum Schaufenster der Reichen und Möchtegernschönen geworden war. Die stolzierten durch den ganzen Ort und übervölkerten die Restaurants unten am Strand. So viel wohlfeiner Schickimicki konnte Paul den Aufenthalt an jedem Ort der Welt verleiden, erst recht in Positano.

Paul brauchte dafür so etwas wie eine Entschädigung. Er hatte sie gefunden. Es war das kleine, typisch italienische Restaurant Al Buco in der Via Roma von Vico Equense. Am Eingang wurde Laufkundschaft bedient. Die meist jungen Leute bestellten sich Pizza mit Pommes. Im hinteren Teil gab es phantastische italienische Küche. Paul und seine Damen waren für vierzehn Tage Stammgäste. Sie hatten sich keine Unterkunft in Neapel besorgt, sondern sich in der Nähe von Sorrento niedergelassen. Pauls Liebling unter allen ihm bekannten Städten dieser Erde war seinen Damen zu unheimlich und zu schmutzig gewesen. Paul war ganz wie früher wieder allein durch sein geliebtes Napoli gestreift und hatte auch Santa Lucia einen Besuch abgestattet.

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Negativ

Kapitel 57 - 17. Juni 2008


Paul überlegte: Heißt das wirklich Negativismus oder doch eher Negativität? Negativität klingt so ähnlich wie Elektrizität. Irgendwie verwandt. Wie zwei Energieformen. Da er zu keiner befriedigenden Antwort gelangte, wandte er sich gleich der zweiten Frage zu, die ihn bewegte: Wenn er sich jetzt mit der Negativität beschäftigte, bedeutete das allein schon den Rückfall ins Negative? Doch wohl kaum. Erst recht nicht, wenn er es tat, um den von ihm eingeschlagen positiven Weg wissenschaftlich abzusichern. Wissenschaftlich war vielleicht etwas hoch gegriffen, aber sein Traum beunruhigte ihn halt und er wollte sein Unterbewusstsein irgendwie in den Griff bekommen oder zumindest beruhigen. Wenn sein Unterbewusstsein negativ programmiert war und im Negativen verharrte, war ihm die Gefahr zu groß, auch im realen Leben wieder rückfällig zu werden.

Also googelte er negativ. Warum googelte er eigentlich immer wieder, wenn er doch fast jedes Mal bei Wikipedia landete? Er las:

- In der Mathematik Bereich unter null
- in der Elektrotechnik bestimmte Seite der Spannung
- in der Medizin vermuteter, aber nicht bestätigter Verdacht (siehe Befund)
- in der Sprache Ausdruck der Verneinung, allgemein ungünstig, benachteiligend oder auch pessimistisch denkend


Paul war noch nicht recht vorangekommen. Er wäre froh, könnte er den medizinischen Befund bezüglich der Eskapaden seines Unterbewusstseins noch heute Abend als negativ zu den Akten legen. Er versuchte es mit Pessimismus. An Claudias Vokabel Negativismus traute er sich nicht so recht heran. Gegen den Ausdruck hatte er irgendetwas.

Der Pessimismus (lat.: pessimum – das Schlechteste, Böseste) ist die Lebensanschauung von der unverbesserlich schlechten Welt. Pessimisten erwarten ein böses Ende. Die unheilvolle Zukunft vor Augen, halten sie jeden gegenwärtigen und vergangenen Stand der Dinge für unheilschwanger, mag er auch noch so gutartig erscheinen.

Das beruhigte Paul und nach so etwas hatte er ja auch gesucht. Ein Pessimist malt sowohl den gegenwärtigen als auch den vergangenen Stand der Dinge schwarz.
Also konnte er gar kein Pessimist sein. Die Vergangenheit war durchweg in Ordnung gewesen. Früher war ja nicht nur alles besser, es war auch wirklich gut gewesen.

Ganz unten auf der Seite standen einige Zitate, von denen Paul eines lustig fand und eines für ziemlich richtig hielt. Theodor Heuss, unser erster Bundespräsident, sollte gesagt haben: „Der einzige Mist, auf dem nichts wächst, ist der Pessimist.“ Ganz witzig. Charles Laughton, ein US-amerikanischer Schauspieler, sprach Paul dagegen voll aus der Seele: „Ein Pessimist ist ein Optimist, der nachgedacht hat.“ Das musste er sich merken. Das traf, was seine Person anging, den Nagel auf den Kopf. Er war genau das: Denkender Optimist! Nur, dass Pauls Unterbewusstsein halt auch dachte. Aber was sprach schon dagegen? Außer, dass es dann merkwürdige Träume fabrizierte.


Kirche-Quickborn

Die Kieler Straße in Quickborn und die evangelische Kirche, in der Pauls Traum 'spielte'


Eigentlich hätte Paul seine Internetsitzung an dieser Stelle beenden und ins Bett gehen können. Ende gut alles gut. Aber erstens war es noch viel zu früh und zweitens wollte er Claudias Gerede vom Negativismus ein für allemal hinter sich bringen. Bisher war ja alles bestens gelaufen. Warum also nicht weiter so? Insgeheim war er sowieso davon ausgegangen, dass er unter Negativismus gar nichts finden würde, da er diese Wortschöpfung für nicht existent hielt. Das wäre ihm am liebsten gewesen.

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Königsberger Klopse

Kapitel 56 - 17. Juni 2007


Beim Abendessen besprachen Claudia und Alexandra, wann sie morgen aufbrechen wollten. Nicht zu früh, so gegen elf sollte er sie zum Bahnhof in Heerhugowaard fahren. Paul bat sie, wieder ein Abendblatt mitzubringen und bitte auch eine Frankfurter Allgemeine oder eine Frankfurter Rundschau. Alexandra erzählte von einer E-Mail, die ihr Nadim geschickt hatte. Der Gastschüler aus Jordanien, der in Wichita auf ihre High School gegangen war und ein Auge auf sie geworfen hatte, wohnte mit seinen Eltern in Beirut. Er hatte Alexandra eingeladen, ihn in den nächsten Sommerferien zu besuchen. Sie könne im Haus seiner Familie wohnen. Wenn sie wolle, würde er mit ihr Petra besichtigen.

"Ist das dein Ernst?", fragte Claudia, die sich für Jungengeschichten immer brennend interessierte.
"Ne Mama, aber sein Ernst, glaub ich."
Paul interessierte sich eher für den geografischen Teil der Information.
"Wer oder was ist Petra?" Von Jordanien hatte er noch weniger Ahnung als von Indien. "Das ist eine antike Felsenstadt in Jordanien etwa aus der Zeit um Christi, eine der neu gewählten Weltwunder.", erklärte Claudia. Das musste sie gerade in einer ihrer Zeitschriften gelesen haben.
Paul zollte ihr Respekt: "Nicht schlecht!"
"Papa, was ist eigentlich heute mit dir los?"
"Wieso?"
"Du nervst gar nicht so rum wie sonst."
"Weil ich mit dir Boot gefahren bin?"
"Nein, insgesamt."
Paul: "Ich sag nur: Positiv Thinking!"
"Xandra, du weißt doch: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.", mischte sich Claudia ein.
"Ist doch schon Abend, Mama."
"Das hält Papa aber nicht lange durch! Sein Negativismus ist angeboren. Warte nur ab." Ja, dachte Paul, ist der Ruf erst ruiniert, wird man ihn so schnell nicht wieder los. Das Image hatte er sich über Jahre aufgebaut.
"Wollen wir wetten?", fragte er Claudia.

Aber Claudia war mehr an Nadim und seiner E-Mail interessiert und unterhielt sich schon wieder mit Alexandra. Paul belastete sein innerfamiliäres Negativimage gar nicht so sehr, jedenfalls heute nicht. Dass seine kritische Art aber offenbar auch einen bleibenden Eindruck bei seinem Unterbewusstsein hinterlassen hatte, das nahm er sehr viel ernster. Das hatte ihn, ehrlich gesagt, ein wenig geschockt. Oder wie war es zu erklären, dass er ausgerechnet an einem für ihn durch und durch positiven Tag einen Traum träumte, in dem ein Leuchter während einer Konfirmation zwei Kirchgänger erschlug? Konnte sich sein Unterbewusstsein nicht damit abfinden, dass er einen ganzen Tag lang ausschließlich positiv dachte und fühlte? Rebellierte sein Innerstes dagegen? Musste sich seine negative Energie auf andere Weise ausleben? Stimmte es, dass er von Natur aus, oder wie Claudia sich ausdrückte, von Geburt an negativ dachte? Er war kein Psychologe. Er konnte sich das alles nicht erklären. Paul war gerne Freigeist, war lieber Opposition als Mainstream. Das gab er gerne zu. Damit kokettierte er ab und zu sogar. Aber von Natur aus negativ? Das gefiel ihm ganz und gar nicht!

Paul hatte seinen Teller geleert. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er die Königsberger Klopse gar nicht richtig genossen hatte. Zu schade. Zum Glück hatte Claudia für morgen mitgekocht, so dass er sich einen Nachschlag genehmigen konnte. Von seinem Vater hatte er gehört, dass es im Hause seines Großvaters zu Kaiser Wilhelms Zeiten strikt verboten gewesen sein soll, bei Tisch zu sprechen. Damals konnten sich die Geschmacksnerven noch voll und ganz auf die Königsberger Klopse konzentrieren. Paul wusste nicht, ob das Gericht damals in Dithmarschen schon bekannt war oder ob die deutschen Flüchtlinge das Rezept erst gegen Ende des zweiten Weltkrieges aus Ostpreußen und Pommern mitgebracht hatten. Egal, der Nachschlag schmeckte ihm ganz ausgezeichnet. Das Essen war für Paul die Krönung dieses wunderschönen Urlaubstages.

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Ein Traum

Kapitel 55 - 17. Juni 2007


Ein Pfarrer segnet zwei vierzehnjährige Jungen, die vor ihm niederknien. Als sich die beiden erheben, überreicht er ihnen einen weißen Umschlag und eine gefaltete DIN-A5-Seite, deren Vorderseite ein Kreuz ziert. Er gratuliert ihnen und sie gesellen sich an der rechten Seite des Altars zu einer Gruppe ebenfalls sehr feierlich gekleideter Jugendlicher. Jetzt sind zwei Mädchen an der Reihe. Das eine trägt ein schwarzes Kleid, das andere zur schwarzen Hose eine weiße Bluse. Paul fällt auf, dass beide Mädchen schwarze Schuhe mit hohen Absätzen tragen und auffallend schön frisiert sind. In ihren Händen halten sie kleine Sträuße Maiglöckchen. Der Pfarrer liest dem ersten Mädchen aus der Bibel vor: "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott."

Als er sich dem zweiten Mädchen zuwendet, gibt es einen lauten Knall. Paul zuckt zusammen. Ein an der Decke der Kirche befestigter großer Messingleuchter hat sich gelöst und stürzt wie in Zeitlupe in die Kirchengemeinde. Paul sieht hinüber zu denen, die er treffen wird. Warum ist er sich so sicher? Er kennt sie. Auf ihren Gesichtern sieht er ein dämliches Grinsen. Es sind die Eltern des Mädchens, das gerade vor dem Pfarrer niederkniet. Alles ist aufgesprungen. Die Eltern des Mädchens sitzen allein, obwohl die Kirche so voll ist wie seit Heiligabend nicht mehr. Es scheint, als wenn sie das laute Getöse als einzige nicht vernommen hätten. Dann ein lauter Aufprall. Wie durch ein Wunder trifft der Leuchter nur zwei Besucher des Gottesdienstes. Es herrscht große Bestürzung und Totenstille. Der Pfarrer liest laut: "Wenn du dem Glauben spottest und deinen Teil zurückhältst, so soll dir Gerechtigkeit widerfahren. Fürchte dich nicht, denn ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!"

Paul war aufgeschreckt und aufgewacht. Er träumte eigentlich sehr selten, jedenfalls konnte er sich nur selten an seine Träume erinnern. An die beiden in seinem Traum zu Tode gekommenen Eltern, konnte er sich sehr wohl erinnern. Nur waren sie im wirklichen Leben kinderlos. Er hatte sie auf einer Konfirmation kennen gelernt. Claudia, Alexandra und er waren von Dana eingeladen gewesen, die eingesegnet werden sollte. Alexandra und Dana kannten sich von Geburt an. Ihre Mütter hatten denselben Geburtsvorbereitungskurs an der Quickborner Volkshochschule besucht. Paul war auch dabei gewesen, als einziger werdender Vater. Der Konfirmationsgottesdienst, der zwei Wochen nach Alexandras Konfirmation stattfand, verlief in der Realität ohne Zwischenfall. Niemand kam ums Leben. In der zwischen Quickborn-Renzel und Tangstedt gelegenen Wulfsmühle, erwartete die Konfirmationsgesellschaft ein reichhaltiges warmes und kaltes Buffet. Bei Dana zu Hause nahm man dann Kaffee und Kuchen zu sich. Es war Juni. Die Sonne schien. Die Kinder hatten das Geld gezählt und kamen jetzt auf die große Terrasse, auf der sich die Erwachsenen angeregt unterhielten.

Paul erinnerte sich noch sehr gut an die Worte der Frau, die in seinem Traum auf so tragische Weise ums Leben gekommen war: "Wir sind schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten. Warum sollten wir weiter Kirchensteuern zahlen. Sollen das doch die anderen machen. Wenn wir Heiligabend in die Kirche gehen wollen, kommen wir auch so hinein." Paul hatte zunächst nichts dazu gesagt. Er war davon ausgegangen, dass sich Widerstand regen und sich zumindest Danas Eltern zu Wort melden würden. Doch nichts dergleichen geschah. Paul sah Dana an, die gerade konfirmiert worden war. Alexandra stand neben ihr. Beide schauten sie leicht irritiert. Statt Widerspruch erntete die Frau laute Zustimmung. Reihum bestätigte man sich gegenseitig. Paul überkam das Gefühl, er sei in der Runde das einzige Kirchenmitglied. Um ihn herum Gelächter und gute Laune.


Konfirmation

Dana, die Konfirmandin


Paul konnte von niemandem erwarten, dass er glaubt. Er konnte ebenso wenig erwarten, dass jemand in der Kirche war oder blieb. Was er aber erwartete, war ein gewisser Rest an Anstand. Wie konnte man sich im Beisein einer Frischkonfirmierten und ihrer Eltern mitten auf einer Konfirmationsfeier brüsten, aus der Kirche ausgetreten zu sein und es vorzuziehen, andere für seinen Gang in die Kirche zahlen zu lassen? Als sei die Kirchensteuer nicht mehr als eine Art Eintrittsgeld für den Heiligabend-Gottesdienst. Das war alles nicht nur geschmacklos, sondern in Pauls Augen geradezu frevelhaft. Es wurde ihm zu bunt. Laut vernehmlich störte er die gute Stimmung: "Es ist immer gut, wenn diejenigen aus der Kirche austreten, die dort überhaupt nichts zu suchen haben, die den Glauben anderer Kirchenmitglieder verlachen. Etwas Besseres kann der Kirche gar nicht passieren. Wer auf einer Konfirmation mit seinem Kirchenaustritt prahlt und das ausgerechnet vor den jungen Leuten, die gerade ihren Glauben bestätigt haben und der Kirche beigetreten sind, dem sollten Kirchen und Friedhöfe auf ewig verschlossen bleiben!"

Es war sehr still geworden, so still wie in Pauls Traum nach dem Fall des Leuchters. Betretenes Schweigen. Paul spürte, dass nicht die von ihm so scharf kritisierte Frau unangenehm aufgefallen war, sondern er selbst. Nicht das Übel ist von Übel, sondern, dass man es benennt. Der linke Affe von Nikkō ließ schön grüßen! Er hatte sich zwar sehr, sehr deutlich ausgedrückt, aber durchaus angemessen, wie er fand. Paul war demonstrativ aufgestanden. Er hatte sich ins Wohnzimmer zurückgezogen und die Terrasse an jenem Tag nicht mehr betreten. Mit der Frau und ihrem Gatten hatte er nie wieder, weder auf Geburtstagsfeiern noch auf der Silberhochzeit ihrer Bekannten, auch nur ein einziges Sterbenswörtchen gewechselt. Sie waren für ihn gestorben.

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Indien

Kapitel 54 - 17. Juni 2007


Paul begab sich auf die Terrasse und machte es sich auf einer der beiden Liegen gemütlich. Er schloss die Augen, spürte den sanften, angenehmen Luftzug auf Gesicht und Armen und genoss das Geräusch sich bewegender Blätter. Er meditierte.

Indien. Was wusste er von Indien?

Land mit der zweitgrößten Bevölkerung (mehr als eine Milliarde, fast so viel wie China). Armut, Kinderarbeit und Kastensystem. Hinduismus und Buddhismus. Buddha, Meditation, Nirwana, Bhagavad Gita, Krishna und Wiedergeburt. Der Besuch der Beatles 1968/69 kurz vor ihrer Trennung und ihr White Album. Yoga, Fakire, Sitar, Ashram, Bhagwan und seine orange-rot gekleideten Jünger. Mandalas, heilige Kühe, Elefanten, Tiger, Rikschas. Gute Hockey- und Polospieler. Himalaya, Indischer Ozean und Monsun. Hermann Hesses 'Siddharta' und 'Morgenlandfahrt'. Hauptstadt: Neu-Dehli. Kalkutta (liegt am Ganges), Madras, Bangalore, Bombay. Nachbarn: Ceylon, nein das hieß ja jetzt Sri Lanka, Pakistan, Bangladesh, Nepal, China. Waren das alle? Kaschmir: Grenzstreitigkeiten und Teppiche. Christoph Kolumbus und sein Versuch, Indien über eine Westroute zu erreichen, wobei er Amerika entdeckte. Vasco da Gama, der den Seeweg nach Indien entdeckte, indem er Afrika umrundete. Kolonialmacht: Großbritannien. Mahatma Gandhi und sein gewaltloser und erfolgreicher Kampf um Indiens Unabhängigkeit. Essen: Viel Reis und Curry. Sehenswürdigkeit: Taj Mahal in Agra. Atombombe, Weltraumraketen und Satelliten.

Das war ehrlich gesagt auch schon alles. Mehr fiel Paul nicht ein. Doch: Die Novalis International AG. Wie sollte er nach der Theorie des positiven Denkens jetzt am besten fortsetzen? Paul geriet ins Stocken. Große Pause. Sein Assoziationsvermögen half ihm aus der Klemme. Novalis, so nannte sich auch ein deutscher Dichter der Frühromantik, den Paul im Alter von zwanzig Jahren sehr gern gelesen hatte. Mit bürgerlichem Namen hieß er Friedrich von Hardenberg. 1801, im Alter von 27 Jahren sehr früh verstorben, hatte er Gedichte und unvollendete Prosa hinterlassen, die erst posthum veröffentlicht wurde. Paul war keiner, der viele Gedichte hätte aufsagen können. Genau genommen waren es sogar nur zwei, die er vollständig auswendig konnte, das aber nach vielen Jahren noch. Natürlich waren beide Gedichte von Hermann Hesse: 'Stufen' und 'Bruder Tod'. Während 'Stufen' weltberühmt war, galt 'Bruder Tod' unter denen, die Hesse weniger wohlwollend gegenüberstanden, doch eher als düster, wenn es ihnen überhaupt bekannt war. Ein typischer Hesse halt.

Von zwei weiteren Gedichten hatte Paul nur einzelne Strophen gespeichert. Beide Gedichte waren aber auch überaus umfänglich. 'Media in Vita', wiederum von Hermann Hesse, war neunzig Zeilen stark, von denen Paul genau die zehn letzten hätte hersagen können. Von Novalis 'Geistliche Gedichte' hatte er zwei Strophen behalten, auch hier die beiden letzten. Ganze acht Zeilen von insgesamt 555! Es war ein religiöses Werk. Die Zeilen, die Paul liebgewonnen hatte, klangen jedoch, als gehörten sie zu einem Liebesgedicht:


Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.
Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel
Seitdem mir wie ein Traum verweht,
Und ein unnennbar süßer Himmel
Mir ewig im Gemüte steht.



Paul wiederholte Novalis Verse einige Male. Er empfand so etwas wie Besinnung, ja so etwas wie Rückbesinnung. Die Schwäne hatten ihn am Vormittag vom Besuch des Gottesdienstes abgehalten. Nun fühlte er sich dem Glauben nah. Er verweilte in dieser beruhigenden Gewissheit und nach einigen Minuten war er eingeschlafen.

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Die Bootsfahrt

Kapitel 53 - 17. Juni 2007


Als Claudia aus dem Bad kam, hatte es aufgeklart. Es sah nach anhaltender Wetterbesserung aus.

"Komm Xandra, wir machen das Boot klar."
"Aber nur, wenn du anschließend ne Bootstour mit mir machst."
"Mach ich.", stimmte Paul zu und musste schmunzeln. Paul als 'Macher'.
"Wirklich? O cool!"

Er holte aus einem der Hängeschränke ihrer Miniküche einen Messbecher und stützte Alexandra, die ins Boot stieg. Es dauerte eine Weile bis sie den Großteil des Regenwassers herausgeschöpft hatte. Paul stellte sich auf die Oberkante des Bootes, das sich bedenklich neigte, was Alexandra ein spontanes 'Mensch Papa' entlockte. Das restliche Wasser sammelte sich auf der jetzt tiefer liegenden, zur Terrasse gelegenen Bootsseite. Nach weiteren Minuten war es geschafft, bis auf einen unwesentlichen Rest. Paul brachte den Messbecher ins Apartment zurück, fragte Claudia, ob sie mitkommen wolle, und kam mit seiner Digitalkamera wieder heraus.

Alexandra war im Boot geblieben. Sie hatte sich der beiden Ruder bemächtigt. Das war Paul gar nicht unrecht. Sich von seiner Tochter in Holland durch die Grachten schippern zu lassen, das hatte was. Alexandra machte ihre Sache sogar erstaunlich gut. Nach einiger Zeit hatten sie sich aufeinander eingespielt. Paul gab den Steuermann, rief ihr 'Links!', 'Weiter links!' und 'Rechts, rechts!' zu und korrigierte ein wenig, indem er ein kleines Paddel, das im Bootsrumpf gelegen hatte, einmal auf der einen und dann auf der anderen Seite bremsend ins Wasser hielt. Sie lachten sich halb schlapp, als sie versehentlich unter die Weide gerieten, die mit ihren Zweigen über sie hinweg strich. Paul registrierte die neidischen Blicke der Schiffer, die an ihnen vorbeikamen. Einigen nickten und grinsten. So ein alter Knacker mit einem so jungen Mädel. Paul fühlte sich gut. Er war mächtig stolz auf seine hübsche, große Tochter. Als sie an eine Schleuse kamen, drehten sie und wählten für den Rückweg einen anderen Wasserarm.

Da die Speicherkarte seiner Kamera voll war, musste Paul einige der Bilder löschen, die er morgens von den Schwänen geschossen hatte. Alexandra war immer sehr fotogen. Auf den Fotos war es ihr nicht anzusehen, dass sie eineinhalb Stunden feste gerudert hatte. Ein Bild wurde schöner als das andere. Wie die Profis legten sie ganz sanft an ihrer Terrasse an. Paul sprang heraus, vertäute das Boot und half Alexandra trockenen Fußes 'an Land'. Alexandra erstattete Claudia begeistert Bericht. Paul lobte ihre Ruderkünste. Claudia hatte sich an die Vorbereitungen für die Königsberger Klopse gemacht. Paul lief schon beim bloßen Gedanken an die Klopse und an die Soße mit den Kapern das Wasser im Mund zusammen. Alexandra wurde die Mithilfe beim Kochen erlassen, da sie so fleißig gerudert war. Paul speicherte die Fotos auf die Festplatte von Claudias Lap und zeigte sie nicht ohne Stolz seinen Damen.


Schwan

Auf seine Schwanenbilder war Paul besonders stolz.


Die Fotos vom Hotel Bosvrede hatte er in einem ganz anderen Verzeichnis abgelegt.

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Positives Denken

Kapitel 52 - 17. Juni 2007


'Positives Denken

Die Methode 'Positives Denken' zielt im Kern darauf, dass der Anwender durch konstante positive Beeinflussung seines bewussten Denkens (z.B. mit Hilfe von Affirmationen oder Visualisierungen) in seinen Gedanken eine dauerhaft konstruktive und optimistische Grundhaltung erreicht und infolgedessen eine höhere Zufriedenheit und Lebensqualität erzielt.

In den meisten Werken, die sich mit dem Thema befassen, nimmt der Glaube eine zentrale Stellung ein. Allerdings handelt es sich hier nicht in erster Linie um einen religiös motivierten und transzendental ausgerichteten Glauben, sondern um die Überzeugung, dass Dinge, die ein Mensch für 'wahr' hält, die Tendenz haben, sich in seinem Leben zu verwirklichen. Dennoch ist die Grenze zur Esoterik oft fließend. Damit verbunden ist ein weiterer zentraler Aspekt des 'Positiven Denkens', die (indirekte) Beeinflussung des unbewussten Denkens bzw. Unterbewusstseins durch das gezielte (bewusste) Denken positiver Gedanken.'


Das hörte sich einerseits ganz ordentlich an. Andererseits stand da aber nichts, was sich Paul nicht auch so hätte denken können. Die Theorie der sich selbst erfüllenden Prophezeiung kannte Paul schon, nicht zuletzt natürlich den bekannten Placebo-Effekt. Vielleicht kommt da noch was, Paul las weiter.

'Wenngleich das Konzept des 'Positiven Denkens' von vielen Seiten kritisiert und teilweise sogar als völlig wirkungslos betrachtet wird, liefert die neuere Hirnforschung Anhaltspunkte dafür, dass gewohnheitsmäßige Denkmuster mittel- und langfristig Auswirkungen auf unsere Gehirnaktivität haben. Auch sind Suggestion und Autosuggestion zum Beispiel in der Schmerztherapie kurzfristig therapeutisch nutzbar.

Von vielen Meditationslehrern wird das 'Positive Denken' kritisiert, da es lediglich eine weitere Manipulation des Bewusstseins sei und somit natürliche geistig-seelische Entwicklungsprozesse nur behindere. Psychologen und Psychiater warnen ausdrücklich davor, dass die Methoden labile und depressive Patienten weiter schädigen können. Besonders bei unkritischen Menschen können sie auch zu einem Realitätsverlust führen. Der Realitätsverlust kann durch das Vermeiden von kritischen Fragen und der damit einhergehenden teilweisen Leugnung von vorhandenen Schwächen entstehen.'


Heute fiel es Paul ausgesprochen leicht, positiv zu sein. Vor allem den letzten Sätzen konnte er nur voll zustimmen. Die hätten von ihm sein können. Das war wie Pauls Kritik am Hobbykoch, dem mit den beiden Hochdruckgebieten und dem Umweltschutz-Weltmeister Deutschland. Besser hätte es Paul gar nicht auf den Punkt bringen können: Realitätsverlust! Das hätten aber auch Pauls Worte sein können zu den Zuschauern, die die La-Ola-Welle übten, während sich auf dem grünen Rasen ein Fehlpass an den anderen reihte.

Klasse dieses Wikipedia. Paul war wirklich begeistert.

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Alles OK

Kapitel 51 - 17. Juni 2007


"Was wollte Michael?" Paul hatte Claudia gestern Abend nichts erzählt.
"Er hat Angst um seinen Job. Das Gerücht geht um, dass Novalis in großem Stil Personal freisetzen will."
"Papa, das ist kein großer Stil. Kündigungen in großem Umfang sind schlechter Stil!" Paul war ganz perplex und gar nicht schlagfertig. Claudia sprang für ihn ein:
"Was ist denn mit dir los? Hast du plötzlich deine soziale Ader entdeckt?"
"Ich wollte nur mal zeigen, was ich bei euch Sozialromantikern schon so alles gelernt habe. Wenn ihr mich irgendwann mal freisetzt, muss ich doch aufs Leben vorbereitet sein."

Paul war fast so etwas wie stolz. Das Jahr in den USA hatte seiner Tochter scheinbar ein klein wenig die Augen geöffnet. Er strich sich dick Kalbsleberwurst auf seine Scheibe Rosinenbrot und nahm einen Schluck Kaffee. Das war Kaffee! Da konnten sich die Holländer eine Scheibe von abschneiden.

"Du meinst es heute aber gut mit dir!", spielte Claudia auf seinen Brotaufstrich an.
"Mama, was gibts heute Mittag?"
"Ich wollte uns Königsberger Klopse machen, hab alles eingekauft. Wir essen aber erst am Spätnachmittag. Ist ja jetzt schon halb zwölf. Hilfst du mir?"
"Oh lecker!"
"Gibt es was Vernünftiges im Fernsehen?", fragte Paul. Er hatte noch nichts geplant. Er könnte auch etwas lesen. Er hatte sich einen Krimi mitgebracht.
"Tour de France und heute Abend einen Spielfilm. Den will ich mir ansehen.", antwortete Claudia. Paul ermahnte sich, positiv zu bleiben. Er verkniff sich eine Bemerkung zur Tour der Leiden, die mehr durch neuerliche Dopingfälle als durch sportliche Schlagzeilen auf sich aufmerksam machte.
"Kann ich heute SIMS spielen, Mama?"
"Kannst du, Spatzel."
"Papa, dann kannst du auch das Internet haben und Go spielen."
"Ja, mal sehen. Ich weiß noch nicht. Wisst ihr was? Ich deck ab und wasch ab. Ihr wollt bestimmt noch duschen."
"Ich dusch zuerst!", meldete sich Alexandra. Der letzte musste bei ihnen den Boden des Badezimmers trocknen und reinigen.
"Xandra, wer singt das? Klingt ganz gut.", wollte Paul wissen.
"Rihanna featering Jay-Z. Der Song heißt Umbrella."
"Das passt zum Wetter. Was bedeutet dieses featering? Singt der Jay-Z nun mit oder nicht?"
"Der singt den Rap-Part, das hörst du doch."
"Ach so - übrigens, unser Boot ist vollgeregnet. Hilfst du mir nachher, es trockenzulegen?"
"OK, Paps!"

Alexandra sprach das OK wie immer so aus, als würde sie einem militärischen Befehl Gehorsam leisten. Das gehörte zu ihren Ritualen. Alexandra hatte ihnen schon bevor sie nach Amerika flog im Brustton der Überzeugung erklärt, OK sei die Abkürzung für 'by Order of the King' - 'auf Befehl des Königs'. Das fand Paul immer noch ganz originell.

Er machte sich daran, den Tisch abzudecken. Claudia ordnete ihr Bett und räumte die Klomotten weg, die Alexandra über das ganze Zimmer verteilt hatte. Die Lebensmittel waren im Kühlschrank verstaut. Als Paul mit dem Abwaschen begann, griff sich Claudia ein Abtrockenhandtuch und sie machten gemeinsame Sache. Alexandra hatte Glück. Der Regen, der zwischenzeitlich aufgehört hatte, setzte wieder ein. So machte es wenig Sinn, das Boot trockenzulegen. Sie wären nur selbst auch noch nass geworden. Claudia ging ins Badezimmer, Paul fegte Wohnung und Terrasse und Alexandra machte es sich mit ihrem Lap bequem. Paul sicherte sich das Internetkabel. Er konnte ja nicht wissen, ob es sich Alexandra nicht doch noch anders überlegen würde. Er wusste gar nicht, was er machen sollte. Zum Go hatte er noch keine Lust. Er suchte weder Zerstreuung noch Ablenkung.


wikipedia

Paul steuerte wieder einmal die Seite von Wikipedia an.


Es ging ihm so gut wie lange nicht mehr und er wusste gar nicht warum. Im Internet-Explorer hatte er www.google.de als Startseite festgelegt, die jetzt auch auf dem Bildschirm erschien. Er überlegte, tippte wikipedia ein und dann die Return-Taste. Auf der Hauptseite von Wikipedia gab er in das leere Feld unter Suche zwei Worte ein und drückte wieder auf return. Er war gespannt.

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Paul

Outplacement (Kriminalroman)

Herzlich willkommen!

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Sie lesen

in meinem autobiografischen Kriminalroman, der sich seit dem 30. Oktober 2007 in Arbeit befindet. (Sollte Ihre Startseite nur ein Kapitel des Romans zeigen, klicken Sie bitte oben auf PAUL.) Für mich geht es beim Schreiben in erster Linie darum, die Geschehnisse der letzten Monate aufzuarbeiten, soweit dieses überhaupt möglich sein wird. Ich möchte hier nichts beschönigen, nichts zu erklären versuchen, mich weder rechtfertigen noch selbstbezichtigen, sondern Abstand gewinnen. Zeit zum Schreiben habe ich in diesen Tagen und Wochen weiß Gott genug. Er möge mir auch die nötige Kraft und Hoffnung geben, um den Roman und mein Leben zu einem guten Ende zu bringen. Der Gedanke daran, dass Sie und andere Leser an meinem Schicksal teilnehmen, ist tröstlich und hilfreich. Ich danke Ihnen!

Was erwartet Sie?

Ohne zuviel vorwegzunehmen: Sicherlich keine leichte Unterhaltung! Aus der Sicht desjenigen, der die Geschichte durchlebt hat, kann von 'leicht' keine Rede sein. Es geht um Hörstürze, Arbeitsplatzverlust, Aufhebungsvertrag, Midlife-Krise, Globalisierung, Outsourcing, Outplacement und Sozialabbau. Aber auch um eine kritische Grundeinstellung und eine recht unglückliche Kettenreaktion. Paul war Personalleiter mit viel Sympathie für Betriebsräte und Arbeitnehmerinteres- sen. Sie erfahren ganz viel über Paul, seine Familie, sein Lieblingsland Italien, seine Urlaubsreisen, Holland, Indien, Japan, China, das Go-Spiel, Hamburg, die Alster und 'seinen' HSV, Schleswig-Holstein, Quickborn, die Bee Gees und, ob Sie wollen oder nicht, über die 'gute' alte Zeit.

INHALT (bisher)


Moin, ich bin Paul!

Eine Art Vorwort ...

1 Ausblick ........... 2 Frühstückstisch ... 3 Ins Netz gegangen 4 Die Achillesferse . 5 Das Mittelmeer ... 6 Gastschüler ....... 7 Tour de France ... 8 Michi ............... 9 Aan Zee ........... 10 Grundsatz- diskussion ........... 11 Der Kongress .... 12 Die Macher ...... 13 Bergen ........... 14 Wilhemminalaan 15 InterRail ......... 16 Für Marijke ...... 17 Die Kernspaltung 18 Personal- management ........ 19 Simmungs- schwankung ......... 20 Die Referenten .. 21 Gmail ............. 22 Die Biografie .... 23 An der Alster ..... 24 Das Hotel ......... 25 Global ............ 26 Das Aquarium .... 27 Die Enten ......... 28 Die Fütterung .... 29 Purismus .......... 30 Hochsitze ....... 31 Eine richtige Familie ............... 32 Tönning .......... 33 Jojo .............. 34 Fußball ............ 35 Café au lait ...... 36 Führungs- grundsätze ........... 37 Uganda ............ 38 Im Internet ....... 39 Volendam ......... 40 Das Abendblatt .. 41 SONY ............. 42 Der Schwindel ... 43 Camcorder ....... 44 Die Einstellung ... 45 Piazza dei Miracoli .............. 46 Go ................. 47 Der Mensch ....... 48 Der Anruf ......... 49 Im Laufschritt .... 50 Besinnung ........ 51 Alles OK .......... 52 Positives Denken 53 Die Bootsfahrt ... 54 Indien.............. 55 Ein Traum ........ 56 Königsberger Klopse ................ 57 Negativ ........... 58 Bella Napoli ...... 59 Schizophrenie ... 60 Der Einkauf ...... 61 Betriebliche Altersversorgung .... 62 Durchgang verboten ............. 63 Finanzamt Elmshorn ............. 64 Woodstock ....... 65 Der letzte Tag ... 66 Im Wald .......... 67 Das Gespräch .... 68 Die Mutprobe .... 69 Die Bee Gees .... 70 Goede namiddag!
FORTSETZUNG FOLGT

Aktuelle Beiträge

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Ich fürchte ein Blog ist nicht unbedingt das richtige...
Aurisa - 30. Aug, 13:02
Die Bee Gees
Kapitel 69 - 18. Juni 2007 Um sich abzuspannen,...
wortmeldung - 12. Jul, 12:53

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PAULS TOP 18 (Singles alphabetisch sortiert)

Assembly
Never Never

Badfinger
Baby Blue

Bee Gees
The Only Love

Golden Earing
When The Lady Smiles

John Fogerty
Rock And Roll Girl

Journey
Faithfully

Lake
Do I Love You

Manfred Mann
You Angel You

Marc Anthony
You Sang To Me

Mink DeVille
Each Word's A Beat Of My Heart

O-Town
These Are The Days

Paper Lace
Love Song

Peter Gabriel
Solsbury Hill

Queen
I Want To Break Free

Stevie Nicks
Talk To Me

Train
Drops Of Jupiter

Tremeloes
(Call Me) Number One

White Lion
You're All I Need

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