Indien
Kapitel 54 - 17. Juni 2007
Paul begab sich auf die Terrasse und machte es sich auf einer der beiden Liegen gemütlich. Er schloss die Augen, spürte den sanften, angenehmen Luftzug auf Gesicht und Armen und genoss das Geräusch sich bewegender Blätter. Er meditierte.
Indien. Was wusste er von Indien?
Land mit der zweitgrößten Bevölkerung (mehr als eine Milliarde, fast so viel wie China). Armut, Kinderarbeit und Kastensystem. Hinduismus und Buddhismus. Buddha, Meditation, Nirwana, Bhagavad Gita, Krishna und Wiedergeburt. Der Besuch der Beatles 1968/69 kurz vor ihrer Trennung und ihr White Album. Yoga, Fakire, Sitar, Ashram, Bhagwan und seine orange-rot gekleideten Jünger. Mandalas, heilige Kühe, Elefanten, Tiger, Rikschas. Gute Hockey- und Polospieler. Himalaya, Indischer Ozean und Monsun. Hermann Hesses 'Siddharta' und 'Morgenlandfahrt'. Hauptstadt: Neu-Dehli. Kalkutta (liegt am Ganges), Madras, Bangalore, Bombay. Nachbarn: Ceylon, nein das hieß ja jetzt Sri Lanka, Pakistan, Bangladesh, Nepal, China. Waren das alle? Kaschmir: Grenzstreitigkeiten und Teppiche. Christoph Kolumbus und sein Versuch, Indien über eine Westroute zu erreichen, wobei er Amerika entdeckte. Vasco da Gama, der den Seeweg nach Indien entdeckte, indem er Afrika umrundete. Kolonialmacht: Großbritannien. Mahatma Gandhi und sein gewaltloser und erfolgreicher Kampf um Indiens Unabhängigkeit. Essen: Viel Reis und Curry. Sehenswürdigkeit: Taj Mahal in Agra. Atombombe, Weltraumraketen und Satelliten.
Das war ehrlich gesagt auch schon alles. Mehr fiel Paul nicht ein. Doch: Die Novalis International AG. Wie sollte er nach der Theorie des positiven Denkens jetzt am besten fortsetzen? Paul geriet ins Stocken. Große Pause. Sein Assoziationsvermögen half ihm aus der Klemme. Novalis, so nannte sich auch ein deutscher Dichter der Frühromantik, den Paul im Alter von zwanzig Jahren sehr gern gelesen hatte. Mit bürgerlichem Namen hieß er Friedrich von Hardenberg. 1801, im Alter von 27 Jahren sehr früh verstorben, hatte er Gedichte und unvollendete Prosa hinterlassen, die erst posthum veröffentlicht wurde. Paul war keiner, der viele Gedichte hätte aufsagen können. Genau genommen waren es sogar nur zwei, die er vollständig auswendig konnte, das aber nach vielen Jahren noch. Natürlich waren beide Gedichte von Hermann Hesse: 'Stufen' und 'Bruder Tod'. Während 'Stufen' weltberühmt war, galt 'Bruder Tod' unter denen, die Hesse weniger wohlwollend gegenüberstanden, doch eher als düster, wenn es ihnen überhaupt bekannt war. Ein typischer Hesse halt.
Von zwei weiteren Gedichten hatte Paul nur einzelne Strophen gespeichert. Beide Gedichte waren aber auch überaus umfänglich. 'Media in Vita', wiederum von Hermann Hesse, war neunzig Zeilen stark, von denen Paul genau die zehn letzten hätte hersagen können. Von Novalis 'Geistliche Gedichte' hatte er zwei Strophen behalten, auch hier die beiden letzten. Ganze acht Zeilen von insgesamt 555! Es war ein religiöses Werk. Die Zeilen, die Paul liebgewonnen hatte, klangen jedoch, als gehörten sie zu einem Liebesgedicht:
Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.
Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel
Seitdem mir wie ein Traum verweht,
Und ein unnennbar süßer Himmel
Mir ewig im Gemüte steht.
Paul wiederholte Novalis Verse einige Male. Er empfand so etwas wie Besinnung, ja so etwas wie Rückbesinnung. Die Schwäne hatten ihn am Vormittag vom Besuch des Gottesdienstes abgehalten. Nun fühlte er sich dem Glauben nah. Er verweilte in dieser beruhigenden Gewissheit und nach einigen Minuten war er eingeschlafen.
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Paul begab sich auf die Terrasse und machte es sich auf einer der beiden Liegen gemütlich. Er schloss die Augen, spürte den sanften, angenehmen Luftzug auf Gesicht und Armen und genoss das Geräusch sich bewegender Blätter. Er meditierte.
Indien. Was wusste er von Indien?
Land mit der zweitgrößten Bevölkerung (mehr als eine Milliarde, fast so viel wie China). Armut, Kinderarbeit und Kastensystem. Hinduismus und Buddhismus. Buddha, Meditation, Nirwana, Bhagavad Gita, Krishna und Wiedergeburt. Der Besuch der Beatles 1968/69 kurz vor ihrer Trennung und ihr White Album. Yoga, Fakire, Sitar, Ashram, Bhagwan und seine orange-rot gekleideten Jünger. Mandalas, heilige Kühe, Elefanten, Tiger, Rikschas. Gute Hockey- und Polospieler. Himalaya, Indischer Ozean und Monsun. Hermann Hesses 'Siddharta' und 'Morgenlandfahrt'. Hauptstadt: Neu-Dehli. Kalkutta (liegt am Ganges), Madras, Bangalore, Bombay. Nachbarn: Ceylon, nein das hieß ja jetzt Sri Lanka, Pakistan, Bangladesh, Nepal, China. Waren das alle? Kaschmir: Grenzstreitigkeiten und Teppiche. Christoph Kolumbus und sein Versuch, Indien über eine Westroute zu erreichen, wobei er Amerika entdeckte. Vasco da Gama, der den Seeweg nach Indien entdeckte, indem er Afrika umrundete. Kolonialmacht: Großbritannien. Mahatma Gandhi und sein gewaltloser und erfolgreicher Kampf um Indiens Unabhängigkeit. Essen: Viel Reis und Curry. Sehenswürdigkeit: Taj Mahal in Agra. Atombombe, Weltraumraketen und Satelliten.
Das war ehrlich gesagt auch schon alles. Mehr fiel Paul nicht ein. Doch: Die Novalis International AG. Wie sollte er nach der Theorie des positiven Denkens jetzt am besten fortsetzen? Paul geriet ins Stocken. Große Pause. Sein Assoziationsvermögen half ihm aus der Klemme. Novalis, so nannte sich auch ein deutscher Dichter der Frühromantik, den Paul im Alter von zwanzig Jahren sehr gern gelesen hatte. Mit bürgerlichem Namen hieß er Friedrich von Hardenberg. 1801, im Alter von 27 Jahren sehr früh verstorben, hatte er Gedichte und unvollendete Prosa hinterlassen, die erst posthum veröffentlicht wurde. Paul war keiner, der viele Gedichte hätte aufsagen können. Genau genommen waren es sogar nur zwei, die er vollständig auswendig konnte, das aber nach vielen Jahren noch. Natürlich waren beide Gedichte von Hermann Hesse: 'Stufen' und 'Bruder Tod'. Während 'Stufen' weltberühmt war, galt 'Bruder Tod' unter denen, die Hesse weniger wohlwollend gegenüberstanden, doch eher als düster, wenn es ihnen überhaupt bekannt war. Ein typischer Hesse halt.
Von zwei weiteren Gedichten hatte Paul nur einzelne Strophen gespeichert. Beide Gedichte waren aber auch überaus umfänglich. 'Media in Vita', wiederum von Hermann Hesse, war neunzig Zeilen stark, von denen Paul genau die zehn letzten hätte hersagen können. Von Novalis 'Geistliche Gedichte' hatte er zwei Strophen behalten, auch hier die beiden letzten. Ganze acht Zeilen von insgesamt 555! Es war ein religiöses Werk. Die Zeilen, die Paul liebgewonnen hatte, klangen jedoch, als gehörten sie zu einem Liebesgedicht:
Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.
Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel
Seitdem mir wie ein Traum verweht,
Und ein unnennbar süßer Himmel
Mir ewig im Gemüte steht.
Paul wiederholte Novalis Verse einige Male. Er empfand so etwas wie Besinnung, ja so etwas wie Rückbesinnung. Die Schwäne hatten ihn am Vormittag vom Besuch des Gottesdienstes abgehalten. Nun fühlte er sich dem Glauben nah. Er verweilte in dieser beruhigenden Gewissheit und nach einigen Minuten war er eingeschlafen.
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Paul - Outplacement - 1. Apr, 01:46
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