Im Laufschritt

Kapitel 49 - 16. Juni 2007


Michi hatte gehetzt gewirkt. Klar, er stand unter Druck, hatte Angst um seinen Arbeitsplatz. Er hatte ja auch finanzielle Verpflichtungen aus seiner geschiedenen Ehe und das alles merkte man ihm natürlich an. Er war weiß Gott nicht der Einzige. Zehntausende in den privatisierten ehemaligen Staatsbetrieben, bei der Polizei, den Gemeinde- und Stadtverwaltungen mussten um ihren Broterwerb bangen. Die Mitarbeiter der Großunternehmen sowieso. Auf der anderen Seite nahm aber auch der Arbeitsdruck enorm zu, dem diejenigen ausgesetzt waren, die ihre Arbeit behalten durften. Das hatte Auswirkungen bis in das Privatleben hinein, gesundheitliche aber auch rein verhaltensauffällige.

Paul sah eine Nachbarin in Quickborn immer nur hetzen, zum Müllcontainer, zu den Waschmaschinen im Keller, zu ihrem Tiefgaragenstellplatz. Die liebe Frau lebte auf der Überholspur. Sie konnte gar nicht mehr anders, war total überdreht. Sie und ihr Mann hatten es nicht leicht. Sie mussten ihre Eigentumswohnung abbezahlen, ihre Reisen und ihre zwei Autos, einen Volvo S80 und einen Mercedes A-Klasse, finanzieren, ihr Wohnmobil unterhalten und für das Studium ihres Sohnes aufkommen, der an der Fachhochschule in Flensburg studierte.

Paul musste an Kopenhagen denken und an ihren Zwischenstopp, den sie auf der Rückreise von ihrem Schwedenurlaub eingelegt hatten. Seine Damen genossen ihren Einkaufsbummel und Paul wartete wohl an die dreißig Minuten vor dem Geschäft, in dem die beiden verschwunden waren. Zuerst dachte Paul, es müsse in einem der Geschäfte in der belebten Fußgängerzone etwas umsonst geben oder irgendein supergünstiges Sonderangebot nach dem Motto 'so lange der Vorrat reicht'. Die Kopenhagener gingen nämlich nicht. Viele von ihnen hetzten. Sie waren in auffällig schnellem Laufschritt unterwegs. Das sah schon komisch aus. Zwanzig Minuten später immer noch dasselbe Bild. Es konnte also nicht daran gelegen haben, dass ein bestimmtes Kaufhaus gerade geöffnet hatte oder ein ganz bestimmter Zug noch erreicht werden musste.


Foto-Kopenhagen

Fernab der Hektik - Paul hatte lieber die ruhige Seite Kopenhagens aufs Bild gebannt.


Klar, er war damals im Urlaub gewesen und bewegte sich selbst nicht gerade in Arbeitsgeschwindigkeit. Aber das, was die Kopenhagener vor seinen Augen aufführten, war für Paul unübersehbar Ausdruck der Verwirrung und Verirrung der Menschen, für die es ja nun wirklich nicht ums Überleben ging. Es war etwas faul. Es war irgendwie krank. Paul fing an, die Menschen zu bedauern. Er schaute ihnen in die Gesichter. Keiner lachte, keiner wirkte wirklich glücklich oder wenigsten zufrieden. In solchen Momenten hielt Paul die Menschen für eine Fehlentwicklung der Evolution.

Erst wenige Wochen vor ihrem jetzigen Urlaub fand Paul seinen persönlichen Eindruck von damals bestätigt. Eine wissenschaftliche Studie hatte den unterschiedlichen Lebensrhythmus von Städten untersucht und die Gehgeschwindigkeit der Fußgänger in fast allen Metropolen der Welt gemessen. Auf Platz eins der schnellsten Fußgänger lag, so glaubte sich Paul zu erinnern, Singapur gefolgt von - Kopenhagen! Die Wissenschaftler versuchten Gesetzmäßigkeiten abzuleiten zur Größe der Stadt, zum Lebensstandard ihrer Einwohner, zu ihrer Kultur und Gesundheit. Menschen, die in Städten mit hoher Gehgeschwindigkeit leben, leiden signifikant häufiger an Herzerkrankungen und sind ihren Mitmenschen gegenüber weniger hilfsbereit, so fanden sie heraus.

Die Zahlen wurden mit denen einer gleichartigen Studie von 1994 verglichen. Seitdem hatte die Gehgeschwindigkeit weltweit um durchschnittlich 10 Prozent zugelegt. Paul kombinierte: Also 10 Prozent weniger Hilfsbereitschaft auf der Welt allein seit 1994. Der Prozentsatz seit 1968 zum Beispiel, der würde ihn wirklich interessieren. Er schätzte ihn auf mindestens fünfzig Prozent. Das würde mit seiner Beobachtung übereinstimmen. Im Laufschritt entfernte sich die Menschheit von der Hilfsbereitschaft. Sie lief in den Egoismus. Sie ersetzte inneren Reichtum durch äußerlichen, materiellen. Herzlosigkeit und Unmoral nahmen immer mehr zu. Paul war erleichtert gewesen, dass seine Sinnesorgane und sein Beurteilungsvermögen wissenschaftliche Bestätigung erfuhren und auch mit über fünfzig noch so gut funktionierten.

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Paul

Outplacement (Kriminalroman)

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in meinem autobiografischen Kriminalroman, der sich seit dem 30. Oktober 2007 in Arbeit befindet. (Sollte Ihre Startseite nur ein Kapitel des Romans zeigen, klicken Sie bitte oben auf PAUL.) Für mich geht es beim Schreiben in erster Linie darum, die Geschehnisse der letzten Monate aufzuarbeiten, soweit dieses überhaupt möglich sein wird. Ich möchte hier nichts beschönigen, nichts zu erklären versuchen, mich weder rechtfertigen noch selbstbezichtigen, sondern Abstand gewinnen. Zeit zum Schreiben habe ich in diesen Tagen und Wochen weiß Gott genug. Er möge mir auch die nötige Kraft und Hoffnung geben, um den Roman und mein Leben zu einem guten Ende zu bringen. Der Gedanke daran, dass Sie und andere Leser an meinem Schicksal teilnehmen, ist tröstlich und hilfreich. Ich danke Ihnen!

Was erwartet Sie?

Ohne zuviel vorwegzunehmen: Sicherlich keine leichte Unterhaltung! Aus der Sicht desjenigen, der die Geschichte durchlebt hat, kann von 'leicht' keine Rede sein. Es geht um Hörstürze, Arbeitsplatzverlust, Aufhebungsvertrag, Midlife-Krise, Globalisierung, Outsourcing, Outplacement und Sozialabbau. Aber auch um eine kritische Grundeinstellung und eine recht unglückliche Kettenreaktion. Paul war Personalleiter mit viel Sympathie für Betriebsräte und Arbeitnehmerinteres- sen. Sie erfahren ganz viel über Paul, seine Familie, sein Lieblingsland Italien, seine Urlaubsreisen, Holland, Indien, Japan, China, das Go-Spiel, Hamburg, die Alster und 'seinen' HSV, Schleswig-Holstein, Quickborn, die Bee Gees und, ob Sie wollen oder nicht, über die 'gute' alte Zeit.

INHALT (bisher)


Moin, ich bin Paul!

Eine Art Vorwort ...

1 Ausblick ........... 2 Frühstückstisch ... 3 Ins Netz gegangen 4 Die Achillesferse . 5 Das Mittelmeer ... 6 Gastschüler ....... 7 Tour de France ... 8 Michi ............... 9 Aan Zee ........... 10 Grundsatz- diskussion ........... 11 Der Kongress .... 12 Die Macher ...... 13 Bergen ........... 14 Wilhemminalaan 15 InterRail ......... 16 Für Marijke ...... 17 Die Kernspaltung 18 Personal- management ........ 19 Simmungs- schwankung ......... 20 Die Referenten .. 21 Gmail ............. 22 Die Biografie .... 23 An der Alster ..... 24 Das Hotel ......... 25 Global ............ 26 Das Aquarium .... 27 Die Enten ......... 28 Die Fütterung .... 29 Purismus .......... 30 Hochsitze ....... 31 Eine richtige Familie ............... 32 Tönning .......... 33 Jojo .............. 34 Fußball ............ 35 Café au lait ...... 36 Führungs- grundsätze ........... 37 Uganda ............ 38 Im Internet ....... 39 Volendam ......... 40 Das Abendblatt .. 41 SONY ............. 42 Der Schwindel ... 43 Camcorder ....... 44 Die Einstellung ... 45 Piazza dei Miracoli .............. 46 Go ................. 47 Der Mensch ....... 48 Der Anruf ......... 49 Im Laufschritt .... 50 Besinnung ........ 51 Alles OK .......... 52 Positives Denken 53 Die Bootsfahrt ... 54 Indien.............. 55 Ein Traum ........ 56 Königsberger Klopse ................ 57 Negativ ........... 58 Bella Napoli ...... 59 Schizophrenie ... 60 Der Einkauf ...... 61 Betriebliche Altersversorgung .... 62 Durchgang verboten ............. 63 Finanzamt Elmshorn ............. 64 Woodstock ....... 65 Der letzte Tag ... 66 Im Wald .......... 67 Das Gespräch .... 68 Die Mutprobe .... 69 Die Bee Gees .... 70 Goede namiddag!
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Each Word's A Beat Of My Heart

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Peter Gabriel
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Tremeloes
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