Uganda
Kapitel 37 - 15. Juni 2007
Claudias Handy machte sich bemerkbar. Sie standen kurz vor Alkmaar im Stau. Bauarbeiten.
Die Altstadt von Alkmaar
"Na, was ist?", fragte Paul.
"SMS von Xandra! Soll ich vorlesen? - Hi Mama, sind im Kino, wollen nachher noch zum Konzert, nehmen Bahn nach Leylystad um 1 Uhr 09, schalte auf lautlos, HDGDL! A aus A". Die letzten Buchstaben standen für 'Hab dich ganz doll lieb! Alexandra aus Amsterdam'.
"Schreib ihr mal, sie soll uns ein Abendblatt mitbringen. Bestimmt gibts das im Amsterdamer Hauptbahnhof."
Fünfzehn Minuten später fuhren sie an einem modern geschwungenen Gebäude mit dem Schriftzug Stadskantoor vorbei. Direkt daneben befand sich ein großes Parkhaus und eine Polizeizentrale, direkt am Wasser, mit viel Glas und ebenfalls hochmodern, fast so etwas wie ein Prachtbau. Der hatte bestimmt Millionen verschlungen. Paul musste sogleich an die gepfefferten Strafmandate für zu schnelles Fahren denken. Der letzte Urlaub vor ihrer Hochzeit war damals viel teurer geworden als geplant. Er lag mehr als fünf Wochen hinter ihnen, als sie abends ein Strafmandat von den holländischen Behörden im Briefkasten fanden. 62 Stundenkilometer im Stadtbezirk von Haarlem kosteten sechzig Deutsche Mark. Das war teurer als ein vergleichbares Vergehen in Deutschland und ärgerlich genug, aber das dicke Ende kam erst noch. Innerhalb der nächsten 14 Tage waren vier weitere Zahlungsbescheide eingegangen. Insgesamt sollten sie mehr als 400 DM zahlen. Das war Mitte der achtziger Jahre viel Geld gewesen. Bevor sie das Geld überwiesen, hatte sich Paul erkundigt. Geldstrafen oder Geldbußen, die in den Niederlanden verhängt wurden, konnten auf Ersuchen schon damals in Deutschland vollstreckt werden. Da war nichts zu machen gewesen.
Claudia und Paul waren von der malerischen Altstadt Alkmaars angetan. Die alten Häuser mit den schönen Fassaden und die kleinen Grachten mit ihren charakteristischen Zugbrücken waren wirklich sehenswert. Es war Freitagabend. Die Geschäfte hatten bereits geschlossen, auch der große Elektroladen in der Fußgängerzone. Restaurants, Cafés und Bars waren voll besetzt, ideal zum Peoplewatching. Da sie weit und breit keinen Griechen entdecken konnten, landeten sie schließlich doch in einem italienischen Restaurant, genauer gesagt davor, unter freiem Himmel, an einer Gracht und direkt gegenüber vom Waagebouw Käsemuseum. Dort fand jeden Freitagvormittag der traditionelle Käsemarkt statt, die Touristenattraktion von Alkmaar. Alle Tische des Portofino waren besetzt. Also setzten sie sich auf die Eingangsstufen des neben dem Restaurant gelegenen Modeladens und warteten. Als nach einigen Minuten absehbar war, dass es länger dauern würde, gesellten sie sich zu zwei anderen Gästen an den Tisch, die im selben Moment ihre Getränke serviert bekamen. Claudia bestellte eine Pizza Quattro Stagioni und Paul seine üblichen Spaghetti Carbonara. Eine Portion Mozzarella und Tomaten wollten sie sich teilen.
Ihre Tischnachbarn, ein Paar, vielleicht fünf Jahre jünger als sie, stellten sich als sehr angenehm und überaus sympathisch heraus. Er war in Alkmaar geboren und aufgewachsen. Nach vielen Jahren in der Fremde, die längste Zeit hatte er in Kanada und Uganda gearbeitet, war er vor einem Jahr zurückgekehrt. Er berichtete, er sei erstaunt gewesen, niemanden von früher getroffen zu haben, keine Schulkameraden und keine Nachbarn. Seine Frau war Afrikanerin. Er hatte sie in Uganda kennen gelernt. Paul war sich nicht ganz sicher, ob der Victoriasee in Uganda liegt. Deshalb fragte er die beiden. Sie zeigten sich erfreut über seine Geografiekenntnis und erzählten von ihrem Land, in das sie als Rentner zurückkehren wollten. Sie berichteten von den Rebellen im Norden, den seltenen und vom Aussterben bedrohten Berggorillas und von ihrer Familie. Nachdem sie seiner Schwiegermutter und einem Schwager ein Dach über dem Kopf beschafft hatten, gaben sie ihnen zwei Waisenkinder in Pflege, deren Eltern an Aids gestorben waren. Es waren Kinder aus der weiteren Verwandtschaft seiner Frau. Als weißer Europäer galt er als reich. So wurden immer neue Hilfeersuchen an sie herangetragen. Sie brachten für jedes weitere Kind monatlich zehn Euro auf, um ihm das Überleben zu sichern.
In englischer Sprache erklärte er: "Wer die armen Kinder sieht und mit ihnen spricht, kann sich unmöglich verweigern. Vor zwei Jahren zahlten wir schon jeden Monat 300 Euro. Mehr konnten wir nicht. Allein in Uganda gibt es über eine Million Aidswaisen. Seitdem wir in Alkmaar sind, erzählen wir von Uganda und inzwischen haben wir einige Helfer gefunden. Einer meiner Arbeitkollegen, der beruflich viel um die Welt reist, hat sogar Paten in Südkorea und Australien geworben. Im August fahren wir wieder nach Uganda, besuchen die Familie und kümmern uns um unser Projekt. Wir lassen gerade zwei kleine Schulräume errichten." Paul war beschämt. Es war wirklich bewundernswert, wie viel Engagement und Nächstenliebe die beiden aufbrachten und wie natürlich sie das taten, ohne aufzuschneiden, ohne ihr Tun besonders auszuschmücken. Paul fühlte sich richtig klein.
Als sie wieder im Auto saßen, ärgerte er sich über sich selbst, dass er sich keine Telefonnummer oder E-Mailadresse hatte geben lassen. Er würde es bestimmt im Internet finden. Das Essen hatte vorzüglich geschmeckt. Es war ein richtig gelungener Tag gewesen.
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Claudias Handy machte sich bemerkbar. Sie standen kurz vor Alkmaar im Stau. Bauarbeiten.
Die Altstadt von Alkmaar
"Na, was ist?", fragte Paul.
"SMS von Xandra! Soll ich vorlesen? - Hi Mama, sind im Kino, wollen nachher noch zum Konzert, nehmen Bahn nach Leylystad um 1 Uhr 09, schalte auf lautlos, HDGDL! A aus A". Die letzten Buchstaben standen für 'Hab dich ganz doll lieb! Alexandra aus Amsterdam'.
"Schreib ihr mal, sie soll uns ein Abendblatt mitbringen. Bestimmt gibts das im Amsterdamer Hauptbahnhof."
Fünfzehn Minuten später fuhren sie an einem modern geschwungenen Gebäude mit dem Schriftzug Stadskantoor vorbei. Direkt daneben befand sich ein großes Parkhaus und eine Polizeizentrale, direkt am Wasser, mit viel Glas und ebenfalls hochmodern, fast so etwas wie ein Prachtbau. Der hatte bestimmt Millionen verschlungen. Paul musste sogleich an die gepfefferten Strafmandate für zu schnelles Fahren denken. Der letzte Urlaub vor ihrer Hochzeit war damals viel teurer geworden als geplant. Er lag mehr als fünf Wochen hinter ihnen, als sie abends ein Strafmandat von den holländischen Behörden im Briefkasten fanden. 62 Stundenkilometer im Stadtbezirk von Haarlem kosteten sechzig Deutsche Mark. Das war teurer als ein vergleichbares Vergehen in Deutschland und ärgerlich genug, aber das dicke Ende kam erst noch. Innerhalb der nächsten 14 Tage waren vier weitere Zahlungsbescheide eingegangen. Insgesamt sollten sie mehr als 400 DM zahlen. Das war Mitte der achtziger Jahre viel Geld gewesen. Bevor sie das Geld überwiesen, hatte sich Paul erkundigt. Geldstrafen oder Geldbußen, die in den Niederlanden verhängt wurden, konnten auf Ersuchen schon damals in Deutschland vollstreckt werden. Da war nichts zu machen gewesen.
Claudia und Paul waren von der malerischen Altstadt Alkmaars angetan. Die alten Häuser mit den schönen Fassaden und die kleinen Grachten mit ihren charakteristischen Zugbrücken waren wirklich sehenswert. Es war Freitagabend. Die Geschäfte hatten bereits geschlossen, auch der große Elektroladen in der Fußgängerzone. Restaurants, Cafés und Bars waren voll besetzt, ideal zum Peoplewatching. Da sie weit und breit keinen Griechen entdecken konnten, landeten sie schließlich doch in einem italienischen Restaurant, genauer gesagt davor, unter freiem Himmel, an einer Gracht und direkt gegenüber vom Waagebouw Käsemuseum. Dort fand jeden Freitagvormittag der traditionelle Käsemarkt statt, die Touristenattraktion von Alkmaar. Alle Tische des Portofino waren besetzt. Also setzten sie sich auf die Eingangsstufen des neben dem Restaurant gelegenen Modeladens und warteten. Als nach einigen Minuten absehbar war, dass es länger dauern würde, gesellten sie sich zu zwei anderen Gästen an den Tisch, die im selben Moment ihre Getränke serviert bekamen. Claudia bestellte eine Pizza Quattro Stagioni und Paul seine üblichen Spaghetti Carbonara. Eine Portion Mozzarella und Tomaten wollten sie sich teilen.
Ihre Tischnachbarn, ein Paar, vielleicht fünf Jahre jünger als sie, stellten sich als sehr angenehm und überaus sympathisch heraus. Er war in Alkmaar geboren und aufgewachsen. Nach vielen Jahren in der Fremde, die längste Zeit hatte er in Kanada und Uganda gearbeitet, war er vor einem Jahr zurückgekehrt. Er berichtete, er sei erstaunt gewesen, niemanden von früher getroffen zu haben, keine Schulkameraden und keine Nachbarn. Seine Frau war Afrikanerin. Er hatte sie in Uganda kennen gelernt. Paul war sich nicht ganz sicher, ob der Victoriasee in Uganda liegt. Deshalb fragte er die beiden. Sie zeigten sich erfreut über seine Geografiekenntnis und erzählten von ihrem Land, in das sie als Rentner zurückkehren wollten. Sie berichteten von den Rebellen im Norden, den seltenen und vom Aussterben bedrohten Berggorillas und von ihrer Familie. Nachdem sie seiner Schwiegermutter und einem Schwager ein Dach über dem Kopf beschafft hatten, gaben sie ihnen zwei Waisenkinder in Pflege, deren Eltern an Aids gestorben waren. Es waren Kinder aus der weiteren Verwandtschaft seiner Frau. Als weißer Europäer galt er als reich. So wurden immer neue Hilfeersuchen an sie herangetragen. Sie brachten für jedes weitere Kind monatlich zehn Euro auf, um ihm das Überleben zu sichern.
In englischer Sprache erklärte er: "Wer die armen Kinder sieht und mit ihnen spricht, kann sich unmöglich verweigern. Vor zwei Jahren zahlten wir schon jeden Monat 300 Euro. Mehr konnten wir nicht. Allein in Uganda gibt es über eine Million Aidswaisen. Seitdem wir in Alkmaar sind, erzählen wir von Uganda und inzwischen haben wir einige Helfer gefunden. Einer meiner Arbeitkollegen, der beruflich viel um die Welt reist, hat sogar Paten in Südkorea und Australien geworben. Im August fahren wir wieder nach Uganda, besuchen die Familie und kümmern uns um unser Projekt. Wir lassen gerade zwei kleine Schulräume errichten." Paul war beschämt. Es war wirklich bewundernswert, wie viel Engagement und Nächstenliebe die beiden aufbrachten und wie natürlich sie das taten, ohne aufzuschneiden, ohne ihr Tun besonders auszuschmücken. Paul fühlte sich richtig klein.
Als sie wieder im Auto saßen, ärgerte er sich über sich selbst, dass er sich keine Telefonnummer oder E-Mailadresse hatte geben lassen. Er würde es bestimmt im Internet finden. Das Essen hatte vorzüglich geschmeckt. Es war ein richtig gelungener Tag gewesen.
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Paul - Outplacement - 21. Dez, 16:00
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