Das Gespräch
Kapitel 67 - 18. Juni 2007
Pauls Pulsschlag war mehr als nur erhöht gewesen, als sein Chef ihn bat, sich zu setzen. Er hatte seinen Chef seit mehr als vier Monaten nicht mehr gesehen. Unter normalen Umständen wäre er darüber glücklich gewesen. Aber die Situation war alles andere als schön. Der Verkauf der Firma stand kurz bevor. Die Braut sollte noch schön gemacht werden. So nannte man es, wenn das Verkaufsobjekt, in diesem Fall die SchwarzChem GmbH, von unnötigem Ballast, sprich Personal, befreit wurde, von Personal und Betriebsteilen, die das übernehmende Unternehmen nicht benötigte. Also wurde kurzerhand das Berliner Werk geschlossen, in dem rund vierhundert Mitarbeiter beschäftigt waren. Das war umso symbolträchtiger, als Berlin der Stammsitz der SchwarzChem war. Hier war die Firma gegründet und das, was der zweite Weltkrieg von ihr übriggelassen hatte, nach dem Krieg neu aufgebaut worden.
Paul hatte miterleben müssen, wie sein Chef diese Werkschließung betrieben hatte, wie er mit schönen Worten und einer eingeschalteten Outplacementberatung tolle Eigenwerbung betrieb, die Mitarbeiter aber letztendlich in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden. Unter dem Etikett 'sozialverträglich' sollten die Mitarbeiter Bewerbungstraining und neue Arbeitsplätze erhalten. Letztendlich erwies sich alles als reines Feigenblattprojekt, für das die Outplacementberatung mehr als 300.000 Euro in Rechnung stellte. Es war einzig und allein gelungen, den Auszubildenden eine Fortsetzung ihrer Ausbildung in anderen Berliner Unternehmen zu ermöglichen. Und das war nicht einmal der Verdienst des Beratungsunternehmens gewesen, sondern dem Werkleiter zu verdanken, der seine Beziehungen zum Arbeitgeberverband nutzte, um wenigstens die Ausbildung der jungen Leute zu retten.
Die Rechnung seines Chefs jedoch war aufgegangen. Die Werkschließung war für das Unternehmen reibungslos über die Bühne gegangen. Pauls Chef war allgemein als Feuerwerker bekannt. Er wusste, seine Projekte so gut zu verkaufen wie kein anderer. Die Kick-off-Veranstaltungen und das ganze von ihm in Szene gesetzte Drumherum glichen einem brillanten, hell strahlenden Feuerwerk. Alles um ihn herum war geblendet. Alle Folgeprojekte wurden abgenickt. Pauls Chef stand im Rampenlicht. War das Feuerwerk jedoch abgebrannt, dann war es wieder zappenduster, für die Mitarbeiter meist viel dunkler als zuvor. Sein Chef aber war schon bei seinem nächsten Projekt. Paul hatte das Zusammenwirken zweier Großunternehmen, der Hochpharma AG und der Novalis AG, einer namhaften Unternehmensberatung und der Gewerkschaft Chemie, Papier, Keramik erlebt. Wäre er nicht selbst zugegen gewesen, er hätte es nicht für möglich gehalten, welche Rolle die Gewerkschaft dabei spielte.
Paul war auch als Personalleiter in seinem Herzen immer auf Seiten der Underdogs, der kleinen Leute, der Betriebsräte und der Gewerkschaften gewesen. Zwei Auftritte von Gewerkschaftsfunktionären würde er deshalb sein Leben lang nicht vergessen können. Sie waren für ihn bis zum heutigen Tage einfach unfassbar. Beide Vorkommnisse lagen schon damals drei Jahre zurück. Sie geschahen in der Zeit, in der die Hochpharma AG ihre Minderheitsbeteiligung an der SchwarzChem GmbH zu einer Mehrheitsbeteiligung aufstockte und damit den Weg für alles freimachte, was danach geschehen sollte. Auf einer dramatischen Betriebsversammlung hatte der Gewerkschaftssekretär, namens Hubertus Schmaldtz, den Inhaber, Herrn Hans-Christian Schwarz, auf übelste Weise abgekanzelt und persönlich diffamiert. Das war kein Florettfechten gewesen, sondern das Bewerfen mit Pech und Schwefel.
Jeder der anwesenden Mitarbeiter vergaß in diesem Moment die Angst vor dem Verlust des eigenen Arbeitplatzes. Alle waren sie peinlich berührt und verstanden die Welt nicht mehr. Die Gewerkschaft in einem Boot mit dem Großkapital, zusammen gegen den Sohn des Firmengründers, dem genau wie seinem Vater der Erhalt der Arbeitsplätze und das Wohlergehen der Mitarbeiter immer wichtiger gewesen waren, als die Höhe des Gewinns seines Unternehmens.
Die Wiege des Familienunternehmens lag in Berlin. Die soziale Personalpolitik hatte sich von Generation zu Generation vererbt.
Die Unternehmensberatung und die Gewerkschaft hatten die Anteilseigner der Gründerfamilie auseinander dividiert. Es hieß, kein Unternehmen habe eine Chance, den Wettbewerb auf dem Weltmarkt zu überleben, wenn es nicht zu den fünf Marktführern gehörte. Die SchwarzChem zählte nicht zu den fünf Großen. Erst war ein Familienmitglied in Sorge um den an die Wand gemalten Wertverlust seines Anteils an der SchwarzChem GmbH umgekippt und hatte an die Hochpharma AG verkauft. Die anderen Familienmitglieder waren zwangsläufig gefolgt. Als Minderheitseigentümer hatten sie jeglichen Einfluss auf die Führung ihres Familienunternehmens verloren.
Den zweiten Vorfall, als sich ein Berliner Funktionär derselben Gewerkschaft im firmeneigenen Schulungszentrum abfällig über das Personalwesen der SchwarzChem GmbH geäußert hatte, wollte Paul lieber verdrängen. Das war eine Unverschämtheit sondergleichen gewesen. Ein Gewerkschaftler, den er nie zuvor gesehen hatte, redete seine Leistung und die seiner Mitarbeiter schlecht, ohne das von Berlin aus substanziell überhaupt beurteilen zu können. Paul wähnte sich im falschen Film, der nicht nur aus diesen beiden Szenen bestand, sondern über mehr als drei Jahre lief. Die Entwicklung der Firma, die ihm ans Herz gewachsen war, und die fortgesetzten Schwindelanfälle hatten Paul mehr und mehr ausgehöhlt. Bis er nicht mehr konnte. Sein Arzt und sein Zustand diktierten ihm eine Auszeit, die vier Monate dauern sollte.
Zwei Tage, bevor er wieder anfangen wollte zu arbeiten, hatte die Sekretärin seines Chefs bei ihnen zu Hause angerufen und ausgerichtet, dass sein Chef ihn vorher sprechen möchte, also noch am selben oder am darauffolgenden Tag. Paul war der Aufforderung seines Chefs gefolgt und hatte sich an den Besprechungstisch gesetzt. Sein Chef nahm ihm gegenüber Platz. Kaffee und Gebäck standen bereits vor ihnen. Nach kurzer Vorrede kam sein Vorgesetzter zum Punkt:
"Herr Sommer, sie wissen vielleicht schon, dass es Veränderungen geben wird im gesamten Unternehmen. Diese werden auch vor unserem eigenen Bereich nicht haltmachen können und sie werden auch ihre Hauptabteilung und ihre Position betreffen. Darüber sollten wir die nächste Zeit in aller Ruhe sprechen. Eine ihrem Level, ihren großen Erfahrungen und Verdiensten entsprechende Position wird es im Personalwesen dann leider nicht mehr geben. Die Entscheidung ist im Haus noch nicht bekanntgegeben. Ich muss sie deshalb bitten, diese Information das Unternehmen betreffend zunächst für sich zu behalten. Nun ist es so, dass ich wenig Sinn darin sehe, dass sie ihre alte Position wieder einnehmen, um sie nur wenige Monate später doch wieder aufgeben zu müssen, zumal sich ihre Mitarbeiter nicht nur sehr gut entwickelt, sondern auch daran gewöhnt haben, ohne sie auszukommen."
Paul war kalt und starr. Er hatte mit etwas Ähnlichem rechnen müssen. Trotzdem traf es ihn wie ein Keulenschlag. Er willigte ein, zunächst mit Sonderaufgaben betraut zu werden und in Kürze Gespräche über seine Zukunft aufzunehmen. Paul wusste bis heute nicht, wie er damals nach Hause gekommen war.
.
Pauls Pulsschlag war mehr als nur erhöht gewesen, als sein Chef ihn bat, sich zu setzen. Er hatte seinen Chef seit mehr als vier Monaten nicht mehr gesehen. Unter normalen Umständen wäre er darüber glücklich gewesen. Aber die Situation war alles andere als schön. Der Verkauf der Firma stand kurz bevor. Die Braut sollte noch schön gemacht werden. So nannte man es, wenn das Verkaufsobjekt, in diesem Fall die SchwarzChem GmbH, von unnötigem Ballast, sprich Personal, befreit wurde, von Personal und Betriebsteilen, die das übernehmende Unternehmen nicht benötigte. Also wurde kurzerhand das Berliner Werk geschlossen, in dem rund vierhundert Mitarbeiter beschäftigt waren. Das war umso symbolträchtiger, als Berlin der Stammsitz der SchwarzChem war. Hier war die Firma gegründet und das, was der zweite Weltkrieg von ihr übriggelassen hatte, nach dem Krieg neu aufgebaut worden.
Paul hatte miterleben müssen, wie sein Chef diese Werkschließung betrieben hatte, wie er mit schönen Worten und einer eingeschalteten Outplacementberatung tolle Eigenwerbung betrieb, die Mitarbeiter aber letztendlich in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden. Unter dem Etikett 'sozialverträglich' sollten die Mitarbeiter Bewerbungstraining und neue Arbeitsplätze erhalten. Letztendlich erwies sich alles als reines Feigenblattprojekt, für das die Outplacementberatung mehr als 300.000 Euro in Rechnung stellte. Es war einzig und allein gelungen, den Auszubildenden eine Fortsetzung ihrer Ausbildung in anderen Berliner Unternehmen zu ermöglichen. Und das war nicht einmal der Verdienst des Beratungsunternehmens gewesen, sondern dem Werkleiter zu verdanken, der seine Beziehungen zum Arbeitgeberverband nutzte, um wenigstens die Ausbildung der jungen Leute zu retten.
Die Rechnung seines Chefs jedoch war aufgegangen. Die Werkschließung war für das Unternehmen reibungslos über die Bühne gegangen. Pauls Chef war allgemein als Feuerwerker bekannt. Er wusste, seine Projekte so gut zu verkaufen wie kein anderer. Die Kick-off-Veranstaltungen und das ganze von ihm in Szene gesetzte Drumherum glichen einem brillanten, hell strahlenden Feuerwerk. Alles um ihn herum war geblendet. Alle Folgeprojekte wurden abgenickt. Pauls Chef stand im Rampenlicht. War das Feuerwerk jedoch abgebrannt, dann war es wieder zappenduster, für die Mitarbeiter meist viel dunkler als zuvor. Sein Chef aber war schon bei seinem nächsten Projekt. Paul hatte das Zusammenwirken zweier Großunternehmen, der Hochpharma AG und der Novalis AG, einer namhaften Unternehmensberatung und der Gewerkschaft Chemie, Papier, Keramik erlebt. Wäre er nicht selbst zugegen gewesen, er hätte es nicht für möglich gehalten, welche Rolle die Gewerkschaft dabei spielte.
Paul war auch als Personalleiter in seinem Herzen immer auf Seiten der Underdogs, der kleinen Leute, der Betriebsräte und der Gewerkschaften gewesen. Zwei Auftritte von Gewerkschaftsfunktionären würde er deshalb sein Leben lang nicht vergessen können. Sie waren für ihn bis zum heutigen Tage einfach unfassbar. Beide Vorkommnisse lagen schon damals drei Jahre zurück. Sie geschahen in der Zeit, in der die Hochpharma AG ihre Minderheitsbeteiligung an der SchwarzChem GmbH zu einer Mehrheitsbeteiligung aufstockte und damit den Weg für alles freimachte, was danach geschehen sollte. Auf einer dramatischen Betriebsversammlung hatte der Gewerkschaftssekretär, namens Hubertus Schmaldtz, den Inhaber, Herrn Hans-Christian Schwarz, auf übelste Weise abgekanzelt und persönlich diffamiert. Das war kein Florettfechten gewesen, sondern das Bewerfen mit Pech und Schwefel.
Jeder der anwesenden Mitarbeiter vergaß in diesem Moment die Angst vor dem Verlust des eigenen Arbeitplatzes. Alle waren sie peinlich berührt und verstanden die Welt nicht mehr. Die Gewerkschaft in einem Boot mit dem Großkapital, zusammen gegen den Sohn des Firmengründers, dem genau wie seinem Vater der Erhalt der Arbeitsplätze und das Wohlergehen der Mitarbeiter immer wichtiger gewesen waren, als die Höhe des Gewinns seines Unternehmens.
Die Wiege des Familienunternehmens lag in Berlin. Die soziale Personalpolitik hatte sich von Generation zu Generation vererbt.
Die Unternehmensberatung und die Gewerkschaft hatten die Anteilseigner der Gründerfamilie auseinander dividiert. Es hieß, kein Unternehmen habe eine Chance, den Wettbewerb auf dem Weltmarkt zu überleben, wenn es nicht zu den fünf Marktführern gehörte. Die SchwarzChem zählte nicht zu den fünf Großen. Erst war ein Familienmitglied in Sorge um den an die Wand gemalten Wertverlust seines Anteils an der SchwarzChem GmbH umgekippt und hatte an die Hochpharma AG verkauft. Die anderen Familienmitglieder waren zwangsläufig gefolgt. Als Minderheitseigentümer hatten sie jeglichen Einfluss auf die Führung ihres Familienunternehmens verloren.
Den zweiten Vorfall, als sich ein Berliner Funktionär derselben Gewerkschaft im firmeneigenen Schulungszentrum abfällig über das Personalwesen der SchwarzChem GmbH geäußert hatte, wollte Paul lieber verdrängen. Das war eine Unverschämtheit sondergleichen gewesen. Ein Gewerkschaftler, den er nie zuvor gesehen hatte, redete seine Leistung und die seiner Mitarbeiter schlecht, ohne das von Berlin aus substanziell überhaupt beurteilen zu können. Paul wähnte sich im falschen Film, der nicht nur aus diesen beiden Szenen bestand, sondern über mehr als drei Jahre lief. Die Entwicklung der Firma, die ihm ans Herz gewachsen war, und die fortgesetzten Schwindelanfälle hatten Paul mehr und mehr ausgehöhlt. Bis er nicht mehr konnte. Sein Arzt und sein Zustand diktierten ihm eine Auszeit, die vier Monate dauern sollte.
Zwei Tage, bevor er wieder anfangen wollte zu arbeiten, hatte die Sekretärin seines Chefs bei ihnen zu Hause angerufen und ausgerichtet, dass sein Chef ihn vorher sprechen möchte, also noch am selben oder am darauffolgenden Tag. Paul war der Aufforderung seines Chefs gefolgt und hatte sich an den Besprechungstisch gesetzt. Sein Chef nahm ihm gegenüber Platz. Kaffee und Gebäck standen bereits vor ihnen. Nach kurzer Vorrede kam sein Vorgesetzter zum Punkt:
"Herr Sommer, sie wissen vielleicht schon, dass es Veränderungen geben wird im gesamten Unternehmen. Diese werden auch vor unserem eigenen Bereich nicht haltmachen können und sie werden auch ihre Hauptabteilung und ihre Position betreffen. Darüber sollten wir die nächste Zeit in aller Ruhe sprechen. Eine ihrem Level, ihren großen Erfahrungen und Verdiensten entsprechende Position wird es im Personalwesen dann leider nicht mehr geben. Die Entscheidung ist im Haus noch nicht bekanntgegeben. Ich muss sie deshalb bitten, diese Information das Unternehmen betreffend zunächst für sich zu behalten. Nun ist es so, dass ich wenig Sinn darin sehe, dass sie ihre alte Position wieder einnehmen, um sie nur wenige Monate später doch wieder aufgeben zu müssen, zumal sich ihre Mitarbeiter nicht nur sehr gut entwickelt, sondern auch daran gewöhnt haben, ohne sie auszukommen."
Paul war kalt und starr. Er hatte mit etwas Ähnlichem rechnen müssen. Trotzdem traf es ihn wie ein Keulenschlag. Er willigte ein, zunächst mit Sonderaufgaben betraut zu werden und in Kürze Gespräche über seine Zukunft aufzunehmen. Paul wusste bis heute nicht, wie er damals nach Hause gekommen war.
.
wortmeldung - 15. Jun, 17:29
2439 mal gelesen
Trackback URL:
https://kriminalroman.twoday.net/stories/4994949/modTrackback