Betriebliche Altersversorgung
Kapitel 61 - 18. Juni 2007
In den letzten drei Jahren seines Arbeitnehmerdaseins, als solches empfand er es auch als Leitender Angestellter, war die Arbeit zunehmend freudloser geworden. Seitdem die Hochpharma AG ihre jahrelange Minderheitsbeteiligung aufgestockt hatte, war nichts mehr gewesen wie zuvor. Sein Chef war ausgetauscht worden. Ein ehemaliger Assistent des Vorstandsvorsitzenden der Hochpharma AG hatte seinen Posten übernommen. Von da an zählte nicht mehr der Mensch, sondern er selbst, sein Chef. Geschliffen im Umgang aber mit kalten Augen und kalten Entscheidungen. Null Feeling oder Händchen für die eigenen Mitarbeiter oder das Personal. Schon nach kurzer Zeit waren die Mitarbeiter, die in Pauls Hauptabteilung arbeiteten, am Verzweifeln. Die Sachbearbeiterinnen fehlten jetzt häufiger mit Grippe und kleineren aber sehr wohl vorhandenen Wehwehchen. Mit der Lust zur Arbeit waren auch ihre natürlichen Abwehrkräfte geschwunden. Pauls Stellvertreter, ein ganz exzellenter Mann, bekam eine immer gravierender werdende Neurodermitis. Ein Personalreferent und eine Sekretärin kündigten bei nächstbester Gelegenheit. Paul konnte das, was sein Chef anrichtete gar nicht alles abpuffern.
Zwei Tage nachdem Pauls Stellvertreter ebenfalls kündigte, hatte Paul seinen Hörsturz erlitten. Die Anfängerfehler konnte er seinem neuen Chef noch verzeihen. Er hatte eine vollkommen unbekannte Personalberatung beauftragt, fünf neue Führungskräfte zu beschaffen. Auch in anderen Bereichen der SchwarzChem GmbH ging es drunter und drüber und Kündigungen waren an der Tagesordnung. Es war klar, dass jede kleinere Personalberatung mit einem solch großen Auftrag überfordert sein würde. Schon rein von der nicht vorhandenen Manpower her, die ein solcher Auftrag benötigte, wenn er sauber und erfolgreich erledigt werden wollte. Ergebnis: Die 200000 DM Beratungshonorar mussten abgeschrieben werden. Nicht eine einzige der fünf freien Stellen war von den beauftragten Headhuntern besetzt worden, das Honorar entgegen aller Geflogenheit aber trotzdem in voller Höhe fällig. Damit begann das Gerede über seinen neuen Chef, aus dem sich Paul natürlich heraushalten musste.
Paul selbst waren sehr viel früher und ganz schnell die Augen geöffnet worden. Er hatte von seinem Leiter der Entgeltabrechnung wieder einmal die Liste der Betriebsrentner erhalten. Das waren alle ehemaligen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, denen das Unternehmen eine monatliche Betriebsrente zahlte. Den meisten von ihnen so zwischen 30 und 130 DM monatlich. Nicht dabei die ehemaligen Geschäftsführer, deren Renten vom Hauptabteilungsleiter des Finanz- und Rechnungswesens persönlich abgerechnet wurden. Paragraph 16 Abs. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Betrieblichen Altersversorgung verpflichtete die Unternehmen und damit auch Pauls Arbeitgeber, die laufenden Renten alle drei Jahre an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten eines 4-Personenhaushaltes anzupassen. Die aktuell bezogene Rente sollte für die Betriebsrentner stets so viel wert sein, das heißt, genau so viel Kaufkraft besitzen, wie zum Zeitpunkt der ersten Rentenzahlung. Wenn es dem Unternehmen schlecht ging, durfte es die Betriebsrenten auch schon einmal um nur die Hälfte der Teuerungsrate erhöhen. In ganz seltenen, gerichtlich nachprüfbaren Fällen durfte die Dynamisierung ausgesetzt werden. Sie war aber nachzuholen, sobald es der Firma wieder besser ging.
Die Liste, die Paul zum nächsten Gespräch mit seinem Chef mitnahm, enthielt alle Betriebsrentner, denen seit mehr als drei Jahren eine Betriebsrente gezahlt wurde. In einer Spalte stand der monatlich gezahlte Rentenbetrag, in der danebenliegenden der monatliche Erhöhungsbetrag, der sich ergab, wenn man die Monatsrente des einzelnen ehemaligen Mitarbeiters mit der kumulierten Inflationsrate der letzten drei Jahre multiplizierte. Die folgende Spalte enthielt das 12-fache der letzten, nämlich die jährlich auflaufenden Mehraufwendungen pro Rentner und eine weitere Spalte die Auswirkungen auf die Kostenstelle der Betriebsrenten für das gerade laufende Jahr. Die zusätzlichen Gesamtkosten rechneten sich per anno auf einen Betrag, der nicht einmal ein Zehntel des Honorars ausmachte, die sein Chef gerade der unbekannten Personalberatung überwiesen hatte. Es waren weniger als 20.000 DM.
Die Fußgängerzone in Alkmaar. Hier hatte Paul den Camcorder gekauft.
Pauls Chef entschied nach kurzer Überlegung, dass die Betriebsrenten nicht angepasst werden. Nur diejenigen ehemaligen Mitarbeiter, die ihre Rentenanpassung anmahnen würden, sollten eine Rentenerhöhung erhalten, alle anderen aber nicht. Da so gut wie niemand, noch nicht einmal der Betriebsrat den entsprechenden Passus des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung kannte, forderten in den Monaten darauf nur zwei Rentner ihr gutes Recht ein. Als für die meisten Arbeitsplätze der SchwarzChem GmbH das Ende absehbar gewesen war, hatte Paul den ihm vertrauten Vorsitzenden des Betriebsrates unter der Hand informiert. Als dieser aus dem BR-Sekretariat zwei Becher Kaffee holte, hatte Paul eine Kopie des entsprechenden Paragraphen des Gesetzes auf den Schreibtisch des Betriebsrates platziert. Beim anschließenden Kaffeetrinken und informellen Fachsimpeln hatte Paul die Kopie gegriffen und so getan, als ob er sie das erste Mal zu Gesicht bekäme: "Was habt ihr für interessante Artikel hier liegen!"
Der BR-Vorsitzende kannte Paul gut und respektierte ihn, erst recht seitdem Pauls Chef das Kommando übernommen hatte. Paul konnte sich sicher sein, dass sein Chef von diesem Vorgang nie etwas zu Ohren kommen würde. In den Wochen, die auf das Kaffeetrinken im BR-Zimmer folgten, gingen im Personal- und Sozialwesen hunderte von Schreiben ehemaliger Mitarbeiter ein, die eine Rentenanpassung forderten. Alle erhielten sie von Pauls Hauptabteilung postwendend einen Bescheid über die Anhebung ihrer Betriebsrenten.
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In den letzten drei Jahren seines Arbeitnehmerdaseins, als solches empfand er es auch als Leitender Angestellter, war die Arbeit zunehmend freudloser geworden. Seitdem die Hochpharma AG ihre jahrelange Minderheitsbeteiligung aufgestockt hatte, war nichts mehr gewesen wie zuvor. Sein Chef war ausgetauscht worden. Ein ehemaliger Assistent des Vorstandsvorsitzenden der Hochpharma AG hatte seinen Posten übernommen. Von da an zählte nicht mehr der Mensch, sondern er selbst, sein Chef. Geschliffen im Umgang aber mit kalten Augen und kalten Entscheidungen. Null Feeling oder Händchen für die eigenen Mitarbeiter oder das Personal. Schon nach kurzer Zeit waren die Mitarbeiter, die in Pauls Hauptabteilung arbeiteten, am Verzweifeln. Die Sachbearbeiterinnen fehlten jetzt häufiger mit Grippe und kleineren aber sehr wohl vorhandenen Wehwehchen. Mit der Lust zur Arbeit waren auch ihre natürlichen Abwehrkräfte geschwunden. Pauls Stellvertreter, ein ganz exzellenter Mann, bekam eine immer gravierender werdende Neurodermitis. Ein Personalreferent und eine Sekretärin kündigten bei nächstbester Gelegenheit. Paul konnte das, was sein Chef anrichtete gar nicht alles abpuffern.
Zwei Tage nachdem Pauls Stellvertreter ebenfalls kündigte, hatte Paul seinen Hörsturz erlitten. Die Anfängerfehler konnte er seinem neuen Chef noch verzeihen. Er hatte eine vollkommen unbekannte Personalberatung beauftragt, fünf neue Führungskräfte zu beschaffen. Auch in anderen Bereichen der SchwarzChem GmbH ging es drunter und drüber und Kündigungen waren an der Tagesordnung. Es war klar, dass jede kleinere Personalberatung mit einem solch großen Auftrag überfordert sein würde. Schon rein von der nicht vorhandenen Manpower her, die ein solcher Auftrag benötigte, wenn er sauber und erfolgreich erledigt werden wollte. Ergebnis: Die 200000 DM Beratungshonorar mussten abgeschrieben werden. Nicht eine einzige der fünf freien Stellen war von den beauftragten Headhuntern besetzt worden, das Honorar entgegen aller Geflogenheit aber trotzdem in voller Höhe fällig. Damit begann das Gerede über seinen neuen Chef, aus dem sich Paul natürlich heraushalten musste.
Paul selbst waren sehr viel früher und ganz schnell die Augen geöffnet worden. Er hatte von seinem Leiter der Entgeltabrechnung wieder einmal die Liste der Betriebsrentner erhalten. Das waren alle ehemaligen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, denen das Unternehmen eine monatliche Betriebsrente zahlte. Den meisten von ihnen so zwischen 30 und 130 DM monatlich. Nicht dabei die ehemaligen Geschäftsführer, deren Renten vom Hauptabteilungsleiter des Finanz- und Rechnungswesens persönlich abgerechnet wurden. Paragraph 16 Abs. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Betrieblichen Altersversorgung verpflichtete die Unternehmen und damit auch Pauls Arbeitgeber, die laufenden Renten alle drei Jahre an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten eines 4-Personenhaushaltes anzupassen. Die aktuell bezogene Rente sollte für die Betriebsrentner stets so viel wert sein, das heißt, genau so viel Kaufkraft besitzen, wie zum Zeitpunkt der ersten Rentenzahlung. Wenn es dem Unternehmen schlecht ging, durfte es die Betriebsrenten auch schon einmal um nur die Hälfte der Teuerungsrate erhöhen. In ganz seltenen, gerichtlich nachprüfbaren Fällen durfte die Dynamisierung ausgesetzt werden. Sie war aber nachzuholen, sobald es der Firma wieder besser ging.
Die Liste, die Paul zum nächsten Gespräch mit seinem Chef mitnahm, enthielt alle Betriebsrentner, denen seit mehr als drei Jahren eine Betriebsrente gezahlt wurde. In einer Spalte stand der monatlich gezahlte Rentenbetrag, in der danebenliegenden der monatliche Erhöhungsbetrag, der sich ergab, wenn man die Monatsrente des einzelnen ehemaligen Mitarbeiters mit der kumulierten Inflationsrate der letzten drei Jahre multiplizierte. Die folgende Spalte enthielt das 12-fache der letzten, nämlich die jährlich auflaufenden Mehraufwendungen pro Rentner und eine weitere Spalte die Auswirkungen auf die Kostenstelle der Betriebsrenten für das gerade laufende Jahr. Die zusätzlichen Gesamtkosten rechneten sich per anno auf einen Betrag, der nicht einmal ein Zehntel des Honorars ausmachte, die sein Chef gerade der unbekannten Personalberatung überwiesen hatte. Es waren weniger als 20.000 DM.
Die Fußgängerzone in Alkmaar. Hier hatte Paul den Camcorder gekauft.
Pauls Chef entschied nach kurzer Überlegung, dass die Betriebsrenten nicht angepasst werden. Nur diejenigen ehemaligen Mitarbeiter, die ihre Rentenanpassung anmahnen würden, sollten eine Rentenerhöhung erhalten, alle anderen aber nicht. Da so gut wie niemand, noch nicht einmal der Betriebsrat den entsprechenden Passus des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung kannte, forderten in den Monaten darauf nur zwei Rentner ihr gutes Recht ein. Als für die meisten Arbeitsplätze der SchwarzChem GmbH das Ende absehbar gewesen war, hatte Paul den ihm vertrauten Vorsitzenden des Betriebsrates unter der Hand informiert. Als dieser aus dem BR-Sekretariat zwei Becher Kaffee holte, hatte Paul eine Kopie des entsprechenden Paragraphen des Gesetzes auf den Schreibtisch des Betriebsrates platziert. Beim anschließenden Kaffeetrinken und informellen Fachsimpeln hatte Paul die Kopie gegriffen und so getan, als ob er sie das erste Mal zu Gesicht bekäme: "Was habt ihr für interessante Artikel hier liegen!"
Der BR-Vorsitzende kannte Paul gut und respektierte ihn, erst recht seitdem Pauls Chef das Kommando übernommen hatte. Paul konnte sich sicher sein, dass sein Chef von diesem Vorgang nie etwas zu Ohren kommen würde. In den Wochen, die auf das Kaffeetrinken im BR-Zimmer folgten, gingen im Personal- und Sozialwesen hunderte von Schreiben ehemaliger Mitarbeiter ein, die eine Rentenanpassung forderten. Alle erhielten sie von Pauls Hauptabteilung postwendend einen Bescheid über die Anhebung ihrer Betriebsrenten.
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Paul - Outplacement - 19. Mai, 00:04
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