Fußball
Kapitel 34 - 15. Juni 2007
Für die Nationalmannschaft interessierte sich Paul nur noch mäßig. Ja früher, mit Franz Beckenbauer, Gerd Müller und den Gladbachern um Günter Netzer, da war Fußball alles für ihn gewesen. Seine erste WM, an die er sich erinnern konnte, war die in England, das tragische Ende inklusive. Geoffrey Hurst und das saublöde Wembley-Tor. Damals waren der Stern von Beckenbauer auf- und der von Pelé untergegangen. An den Franz mit seiner fast schon überheblich wirkenden Eleganz, seiner begnadeten Technik, seinen Außenristpässen, seiner Spieleröffnung, seinen gelupften Freistößen und den Doppelpässen mit Gerd Müller würde für Paul nie wieder ein Fußballspieler heranreichen. Als eingefleischter HSVer verehrte er mit Beckenbauer ausgerechnet den Kapitän vom Erzfeind Bayern München. Das war die höchste Anerkennung, die er einem Fußballspieler überhaupt zollen konnte. Unvergessen das 0:4 seines HSV gegen die gerade aufgestiegenen Bayern. Ein Spiel der Bundesligasaison 1965/66 vor 71 000 Zuschauern im alten Volksparkstadion. Beim Verlassen der Westkurve, es muss der Block B gewesen sein, wäre Paul beinahe erdrückt worden. Damals war er zwölf Jahre alt gewesen.
Auf dem Rückweg zum Leuchturm von Egmond aan Zee schweiften Pauls Gedanken ab zum Fußball und der guten alten Zeit. Trotzdem vergaß er nicht, ein paar Fotos zu schießen. Die Fußgängerzone und die beiden Kirchen sind sehr gut getroffen.
Berauschend war die Spielweise der Nationalelf 1972 beim Gewinn der Europameisterschaft, auch die von Borussia Mönchengladbach - Boninsegna sei verflucht - und von Ajax Amsterdam mit Cruyff, Neeskens und der berühmten Abseitsfalle! Von Stan Libuda mit seinem Trick, links antäuschen und recht vorbeigehen, schwärmte Paul noch heute. Er hielt still Andacht. Gott habe ihn selig. Libuda war nur 52 Jahre alt geworden. Paul war jetzt 54. Die Dribbelstärke Libudas war legendär. Als ein Prediger im Ruhrpott für seine Veranstaltungen mit Plakaten warb, auf denen stand "Niemand kommt an Gott vorbei", schrieb ein Fan unter das Plakat den Zusatz "außer Stan". Paul erinnerte sich an Libudas Traumtor in Hamburg gegen die Schotten, das er damals von der Westkurve aus bestaunen und bejubeln durfte.
Und natürlich an die Glanzzeiten seines HSV. Beim Europapokalsieg der Pokalsieger im Mai 1977 gegen den RSC Anderlecht war Paul dabei gewesen. Sein dritter Besuch in Amsterdam. Dann der erste Sieg gegen die Bayern in München. 4:3 mit Toren von von Heesen und Hrubesch. Das größte HSV-Spiel aller Zeiten war für Paul nicht das 1:0 in Turin gegen Juventus gewesen, sondern das 5:1 (4:1) gegen Real Madrid drei Jahre zuvor. Im Wettbewerb der Landesmeister hatten sie das Hinspiel in Madrid eindeutig mit 0:2 verloren. Der Einzug ins Endspiel war so gut wie vertan. Es wurde das Spiel von Kaltz, Hrubesch, Keegan und Co. Für Paul war es trotz der drei Meisterschaften unter Zebec und Happel das Fußballerlebnis überhaupt. Das beste Spiel, das er jemals in einem Stadion miterlebt hatte. Blass dagegen das 4:4 gegen Juve im Jahr 2000. Vergleichbares hatte Paul seither nicht wieder erleben dürfen. Was war das für Fußball gewesen im Vergleich mit dem heutigen Gekicke, Zinédine Zidan einmal ausgenommen. Und der war inzwischen auch schon zurückgetreten.
Claudia hielt Paul häufig vor, er sei zu negativ, würde nur noch nörgeln. Alexandra mochte Kritik, die Paul äußerte, schon lange nicht mehr hören, egal ob sie nun berechtigt war oder nicht. Paul hinterfragte sich natürlich auch selbst. Klar, er war ein kritischer Geist, nahm nicht alles einfach so hin. Er hatte aufgrund seines Alters natürlich auch mehr Vergleichsmöglichkeiten. Seinen Intellekt wollte er gar nicht erst anführen. Aber sollte er wirklich begeistert sein, wenn der HSV vor unerklärlicherweise immer ausverkauften Rängen aufspielte, um von 17 Heimspielen gerade einmal vier zu gewinnen, ohne erkennbares System, mit nur zwei Spielern, die einigermaßen mit den Ball umgehen konnten. Da konnte Paul noch so viel Champagner trinken oder sich am teuren Buffet verlustieren. Da konnten noch so viele Beifallstürme und La-Ola-Wellen durch das Stadionrund gehen. Schlechter Fußball, wie ihn der HSV seit Mitte der 80er-Jahre fast ununterbrochen spielte, blieb für ihn schlechter Fußball.
Paul amüsierte sich, Stadionrund müsste heute eigentlich Arenarund heißen oder am besten gleich HSH Nordbank-Arenarund. Zuerst hatte Paul das zweite H in HSH für einen Tippfehler gehalten und es gedanklich durch ein V ersetzt, aber nein, so hieß die Bank, deren Namen bis dahin niemand jemals gehört hatte und von der streng genommen auch niemand etwas hören wollte. Landesmeisterpokal hieß jetzt Champions League. Die Spieler waren alle Mehrfachmillionäre und das sogar in Euro und nicht etwa nur in DM. Aber dadurch, dass man alles größer darstellte oder umbenannte, wurde es ja nicht unbedingt besser. Doch wer wollte es den heutigen Fans verdenken? Viele waren zu jung und hatten den richtigen Fußball gar nicht mehr kennen gelernt. Das war wie mit dem Essen. Dort, wo zu Hause nicht mehr gekocht wurde, da wurden die Kinder zu echten Liebhabern der Burger von McDonald's.
Paul war nicht negativ geworden. Nein, die Welt war nicht mehr wie sie früher war. Sie war eindeutig schlechter geworden. An diesem Urteil führte für Paul kein Weg vorbei. Es galt für den Fußball, die Popmusik und die Moral der Gesellschaft, für die Geschäftspolitik großer und kleiner Unternehmen aber erst recht für Politiker und Manager.
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Für die Nationalmannschaft interessierte sich Paul nur noch mäßig. Ja früher, mit Franz Beckenbauer, Gerd Müller und den Gladbachern um Günter Netzer, da war Fußball alles für ihn gewesen. Seine erste WM, an die er sich erinnern konnte, war die in England, das tragische Ende inklusive. Geoffrey Hurst und das saublöde Wembley-Tor. Damals waren der Stern von Beckenbauer auf- und der von Pelé untergegangen. An den Franz mit seiner fast schon überheblich wirkenden Eleganz, seiner begnadeten Technik, seinen Außenristpässen, seiner Spieleröffnung, seinen gelupften Freistößen und den Doppelpässen mit Gerd Müller würde für Paul nie wieder ein Fußballspieler heranreichen. Als eingefleischter HSVer verehrte er mit Beckenbauer ausgerechnet den Kapitän vom Erzfeind Bayern München. Das war die höchste Anerkennung, die er einem Fußballspieler überhaupt zollen konnte. Unvergessen das 0:4 seines HSV gegen die gerade aufgestiegenen Bayern. Ein Spiel der Bundesligasaison 1965/66 vor 71 000 Zuschauern im alten Volksparkstadion. Beim Verlassen der Westkurve, es muss der Block B gewesen sein, wäre Paul beinahe erdrückt worden. Damals war er zwölf Jahre alt gewesen.
Auf dem Rückweg zum Leuchturm von Egmond aan Zee schweiften Pauls Gedanken ab zum Fußball und der guten alten Zeit. Trotzdem vergaß er nicht, ein paar Fotos zu schießen. Die Fußgängerzone und die beiden Kirchen sind sehr gut getroffen.
Berauschend war die Spielweise der Nationalelf 1972 beim Gewinn der Europameisterschaft, auch die von Borussia Mönchengladbach - Boninsegna sei verflucht - und von Ajax Amsterdam mit Cruyff, Neeskens und der berühmten Abseitsfalle! Von Stan Libuda mit seinem Trick, links antäuschen und recht vorbeigehen, schwärmte Paul noch heute. Er hielt still Andacht. Gott habe ihn selig. Libuda war nur 52 Jahre alt geworden. Paul war jetzt 54. Die Dribbelstärke Libudas war legendär. Als ein Prediger im Ruhrpott für seine Veranstaltungen mit Plakaten warb, auf denen stand "Niemand kommt an Gott vorbei", schrieb ein Fan unter das Plakat den Zusatz "außer Stan". Paul erinnerte sich an Libudas Traumtor in Hamburg gegen die Schotten, das er damals von der Westkurve aus bestaunen und bejubeln durfte.
Und natürlich an die Glanzzeiten seines HSV. Beim Europapokalsieg der Pokalsieger im Mai 1977 gegen den RSC Anderlecht war Paul dabei gewesen. Sein dritter Besuch in Amsterdam. Dann der erste Sieg gegen die Bayern in München. 4:3 mit Toren von von Heesen und Hrubesch. Das größte HSV-Spiel aller Zeiten war für Paul nicht das 1:0 in Turin gegen Juventus gewesen, sondern das 5:1 (4:1) gegen Real Madrid drei Jahre zuvor. Im Wettbewerb der Landesmeister hatten sie das Hinspiel in Madrid eindeutig mit 0:2 verloren. Der Einzug ins Endspiel war so gut wie vertan. Es wurde das Spiel von Kaltz, Hrubesch, Keegan und Co. Für Paul war es trotz der drei Meisterschaften unter Zebec und Happel das Fußballerlebnis überhaupt. Das beste Spiel, das er jemals in einem Stadion miterlebt hatte. Blass dagegen das 4:4 gegen Juve im Jahr 2000. Vergleichbares hatte Paul seither nicht wieder erleben dürfen. Was war das für Fußball gewesen im Vergleich mit dem heutigen Gekicke, Zinédine Zidan einmal ausgenommen. Und der war inzwischen auch schon zurückgetreten.
Claudia hielt Paul häufig vor, er sei zu negativ, würde nur noch nörgeln. Alexandra mochte Kritik, die Paul äußerte, schon lange nicht mehr hören, egal ob sie nun berechtigt war oder nicht. Paul hinterfragte sich natürlich auch selbst. Klar, er war ein kritischer Geist, nahm nicht alles einfach so hin. Er hatte aufgrund seines Alters natürlich auch mehr Vergleichsmöglichkeiten. Seinen Intellekt wollte er gar nicht erst anführen. Aber sollte er wirklich begeistert sein, wenn der HSV vor unerklärlicherweise immer ausverkauften Rängen aufspielte, um von 17 Heimspielen gerade einmal vier zu gewinnen, ohne erkennbares System, mit nur zwei Spielern, die einigermaßen mit den Ball umgehen konnten. Da konnte Paul noch so viel Champagner trinken oder sich am teuren Buffet verlustieren. Da konnten noch so viele Beifallstürme und La-Ola-Wellen durch das Stadionrund gehen. Schlechter Fußball, wie ihn der HSV seit Mitte der 80er-Jahre fast ununterbrochen spielte, blieb für ihn schlechter Fußball.
Paul amüsierte sich, Stadionrund müsste heute eigentlich Arenarund heißen oder am besten gleich HSH Nordbank-Arenarund. Zuerst hatte Paul das zweite H in HSH für einen Tippfehler gehalten und es gedanklich durch ein V ersetzt, aber nein, so hieß die Bank, deren Namen bis dahin niemand jemals gehört hatte und von der streng genommen auch niemand etwas hören wollte. Landesmeisterpokal hieß jetzt Champions League. Die Spieler waren alle Mehrfachmillionäre und das sogar in Euro und nicht etwa nur in DM. Aber dadurch, dass man alles größer darstellte oder umbenannte, wurde es ja nicht unbedingt besser. Doch wer wollte es den heutigen Fans verdenken? Viele waren zu jung und hatten den richtigen Fußball gar nicht mehr kennen gelernt. Das war wie mit dem Essen. Dort, wo zu Hause nicht mehr gekocht wurde, da wurden die Kinder zu echten Liebhabern der Burger von McDonald's.
Paul war nicht negativ geworden. Nein, die Welt war nicht mehr wie sie früher war. Sie war eindeutig schlechter geworden. An diesem Urteil führte für Paul kein Weg vorbei. Es galt für den Fußball, die Popmusik und die Moral der Gesellschaft, für die Geschäftspolitik großer und kleiner Unternehmen aber erst recht für Politiker und Manager.
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wortmeldung - 7. Dez, 03:34
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