Gastschüler
Kapitel 6 - 13. Juni 2007
„Können wir nicht auch einen Gastschüler aus Amerika nehmen?“ Alexandra war aufgewacht und las am Frühstückstisch ein Taschenbuch Der Uni-Roman. Sie las eigentlich nie, aber natürlich jetzt beim gemeinsamen Frühstück. Drinnen spielte ihre Musik, trotzdem war sie draußen mehr als deutlich zu hören. Gerrit würde seine Hinweisschildchen bald umformulieren, da war sich Paul sehr sicher. Er fühlte sich wie zu Hause. Auch hier spielte die ewig gleiche, laute Musik. Warum nicht wenigstens einmal Eve of Destruction oder wenigstens Call Me Number 1 von den Tremeloes? Paul kannte die elterliche Antwort auf Alexandras Frage. Sie lautete eher 'nicht' als 'auch', um die Worte von Alexandra zu gebrauchen. Er überließ die Beantwortung aber lieber seiner Frau.
„Wer nimmt auch einen Gastschüler?“ Claudias Gegenfragetechnik!
„Keiner, den ich kenne. Ich wollte nur wissen, ob wir einen nehmen können?“
„Einer kommt sowieso gar nicht in Frage!“ Claudia betonte das ‚einer’, um deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass sie sowieso niemanden für ein Jahr aufnehmen würden und erst recht keinen jungen Mann!
„Mama, ich mein ne Schülerin!“
„Hast du aber nicht gesagt!“
Paul sah die Stimmung kippen und bemühte sich, eine weniger ernste Note ins Gespräch zu bringen: „Wenn unsere Tochter dafür im Austausch noch einmal ein Jahr nach Amerika geht, können wir ja mal drüber nachdenken. Oder? Was meinst Du, mein Schatz?“
Aber Claudia hatte sich hochgefahren: „Erstens haben wir kein Zimmer für eine weitere Person und zweitens müsste Alexandra sich um sie kümmern - ein Jahr lang. Wenn ihre Cousins zu Besuch kommen, ist sie dazu nicht einmal zwei Stunden bereit!“ Claudia ging immer schnell zum Gegenangriff über.
„Mama, man kann eine Schülerin auch für drei Monate nehmen. Ich werde mich schon kümmern und ihr klarmachen, wie es bei uns läuft!“ Alexandra spielte die Autoritätsperson.
„Das kannst du später bei deinen eigenen Kindern machen. Ich hoffe aber, du wirst sie nicht so autoritär erziehen, sondern liberal!“
„Ich erzieh sie nicht autoritär, nicht antiautoritär und auch nicht liberal, wie du das nennst. Ich erzieh sie global.“
Paul lachte. Das war gut! Die Globalisierung war in aller Munde und für Alexandra war das Wort nicht negativ besetzt, sondern gedanklich verbunden mit Reisen um die Welt, ihr eigenes High School Jahr in Wichita/Kansas, Paris Hilton, dem Internet und eben Gastschülern aus Amerika. Mit dem Wort liberal und seiner Bedeutung konnte Alexandra dagegen so wenig anfangen, wie der Großteil der heutigen Jugend. Wozu auch? Sie konnten lange schlafen, während ihre Eltern auf sie warteten. Sie konnten beim Frühstück lesen und laut Musik hören. Alles kein Problem. Liberalität war nichts, worum sich diese Jugend Gedanken machen, geschweige denn, wofür sie sich einsetzen müsste. Sie verfügte über alle Freiheiten im Überfluss und sehnte sich sogar nach etwas Autorität. Nicht ohne Grund gaben Jugendliche, befragt nach ihrem Berufswunsch, am häufigsten Polizist an. Das wäre zu seiner Zeit ganz undenkbar gewesen und auch jetzt hatte Paul bei dem Gedanken an die Polizei kein so ganz gutes Gefühl.
Paul hatte nach Frühstück und Abwasch zuerst Claudia verarztet. Eine ewig lange Fußmassage war gefragt, vorsorglich gleich für beide Füße, obwohl nur die rechte Ferse betroffen war. Dann das Einreiben mit Mobilat. Wo hatte sie das her? Eine straffe Bandage. Die Binde hatte er aus dem Verbandkasten des Autos geholt. Er war zufrieden, das erste Mal in seinem Leben etwas aus dem Verbandkasten gebrauchen zu können. Wie viel ihn die vielen, alle Jahre wieder zu erneuernden Kästen schon gekostet hatten, darüber wollte er nicht weiter nachdenken. Dann noch einen Becher von Claudias geliebtem Rotbuschtee Orange, der immer acht Minuten ziehen musste. Und das Taschenbuch bitte noch. Paul las den Titel: Der Kindersammler. Und eine Decke. Die Terrasse lag jetzt im Schatten. Claudia ließ sich bedienen. Sie genoss ihre Achillesferse ganz offensichtlich. Anschließend kam Alexandra an die Reihe, die sich jetzt nicht wie geplant mit ihrer Mutter zum Bummel durch die Geschäfte des Ortes aufmachen konnte.
Paul und Alexandra (beide nicht im Bild) unterwegs mit dem Ruderboot.
Nachdem er mit Alexandra ausgiebig das Ruderboot ‚eingeweiht’ hatte, ging er in den Schuppen und suchte sich ein Fahrrad aus. Ein Schild verriet den Preis: FAHRRADVERLEIH / Fietsverhuur 7,50 € pro Tag 35,00 € pro Woche. Mein lieber Gerrit, dachte Paul. Das sind ja Preise. Aber das Rad war perfekt und er war zufrieden. Er fuhr los. Unterwegs ging ihm das Wort verhuur nicht aus dem Kopf. Jetzt wusste er, warum die Damen von der Herbertstraße Huren genannt wurden. Im Ort kaufte er eine Wandel- & Fietskaart van Den Helder tot Amsterdam. Das Wort tot irritierte ihn. Froh war er, dass bei seinen Großeltern in Heide, Dithmarschen, früher Plattdütsch gesprochen wurde. Er selbst konnte es nicht sprechen, aber verstehen. Holländisch schien ihm verwandt. De Streekkaart voor Vakantie en vrije tijd - Die Streckenkarte für Urlaub und Freizeit. Er faltete die Karte auf. War es Zufall oder wollte ihm die Karte den Weg weisen? Sein erster Blick fiel auf den Ort, den er jetzt aufsuchen würde - Bergen.
.
„Können wir nicht auch einen Gastschüler aus Amerika nehmen?“ Alexandra war aufgewacht und las am Frühstückstisch ein Taschenbuch Der Uni-Roman. Sie las eigentlich nie, aber natürlich jetzt beim gemeinsamen Frühstück. Drinnen spielte ihre Musik, trotzdem war sie draußen mehr als deutlich zu hören. Gerrit würde seine Hinweisschildchen bald umformulieren, da war sich Paul sehr sicher. Er fühlte sich wie zu Hause. Auch hier spielte die ewig gleiche, laute Musik. Warum nicht wenigstens einmal Eve of Destruction oder wenigstens Call Me Number 1 von den Tremeloes? Paul kannte die elterliche Antwort auf Alexandras Frage. Sie lautete eher 'nicht' als 'auch', um die Worte von Alexandra zu gebrauchen. Er überließ die Beantwortung aber lieber seiner Frau.
„Wer nimmt auch einen Gastschüler?“ Claudias Gegenfragetechnik!
„Keiner, den ich kenne. Ich wollte nur wissen, ob wir einen nehmen können?“
„Einer kommt sowieso gar nicht in Frage!“ Claudia betonte das ‚einer’, um deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass sie sowieso niemanden für ein Jahr aufnehmen würden und erst recht keinen jungen Mann!
„Mama, ich mein ne Schülerin!“
„Hast du aber nicht gesagt!“
Paul sah die Stimmung kippen und bemühte sich, eine weniger ernste Note ins Gespräch zu bringen: „Wenn unsere Tochter dafür im Austausch noch einmal ein Jahr nach Amerika geht, können wir ja mal drüber nachdenken. Oder? Was meinst Du, mein Schatz?“
Aber Claudia hatte sich hochgefahren: „Erstens haben wir kein Zimmer für eine weitere Person und zweitens müsste Alexandra sich um sie kümmern - ein Jahr lang. Wenn ihre Cousins zu Besuch kommen, ist sie dazu nicht einmal zwei Stunden bereit!“ Claudia ging immer schnell zum Gegenangriff über.
„Mama, man kann eine Schülerin auch für drei Monate nehmen. Ich werde mich schon kümmern und ihr klarmachen, wie es bei uns läuft!“ Alexandra spielte die Autoritätsperson.
„Das kannst du später bei deinen eigenen Kindern machen. Ich hoffe aber, du wirst sie nicht so autoritär erziehen, sondern liberal!“
„Ich erzieh sie nicht autoritär, nicht antiautoritär und auch nicht liberal, wie du das nennst. Ich erzieh sie global.“
Paul lachte. Das war gut! Die Globalisierung war in aller Munde und für Alexandra war das Wort nicht negativ besetzt, sondern gedanklich verbunden mit Reisen um die Welt, ihr eigenes High School Jahr in Wichita/Kansas, Paris Hilton, dem Internet und eben Gastschülern aus Amerika. Mit dem Wort liberal und seiner Bedeutung konnte Alexandra dagegen so wenig anfangen, wie der Großteil der heutigen Jugend. Wozu auch? Sie konnten lange schlafen, während ihre Eltern auf sie warteten. Sie konnten beim Frühstück lesen und laut Musik hören. Alles kein Problem. Liberalität war nichts, worum sich diese Jugend Gedanken machen, geschweige denn, wofür sie sich einsetzen müsste. Sie verfügte über alle Freiheiten im Überfluss und sehnte sich sogar nach etwas Autorität. Nicht ohne Grund gaben Jugendliche, befragt nach ihrem Berufswunsch, am häufigsten Polizist an. Das wäre zu seiner Zeit ganz undenkbar gewesen und auch jetzt hatte Paul bei dem Gedanken an die Polizei kein so ganz gutes Gefühl.
Paul hatte nach Frühstück und Abwasch zuerst Claudia verarztet. Eine ewig lange Fußmassage war gefragt, vorsorglich gleich für beide Füße, obwohl nur die rechte Ferse betroffen war. Dann das Einreiben mit Mobilat. Wo hatte sie das her? Eine straffe Bandage. Die Binde hatte er aus dem Verbandkasten des Autos geholt. Er war zufrieden, das erste Mal in seinem Leben etwas aus dem Verbandkasten gebrauchen zu können. Wie viel ihn die vielen, alle Jahre wieder zu erneuernden Kästen schon gekostet hatten, darüber wollte er nicht weiter nachdenken. Dann noch einen Becher von Claudias geliebtem Rotbuschtee Orange, der immer acht Minuten ziehen musste. Und das Taschenbuch bitte noch. Paul las den Titel: Der Kindersammler. Und eine Decke. Die Terrasse lag jetzt im Schatten. Claudia ließ sich bedienen. Sie genoss ihre Achillesferse ganz offensichtlich. Anschließend kam Alexandra an die Reihe, die sich jetzt nicht wie geplant mit ihrer Mutter zum Bummel durch die Geschäfte des Ortes aufmachen konnte.
Paul und Alexandra (beide nicht im Bild) unterwegs mit dem Ruderboot.
Nachdem er mit Alexandra ausgiebig das Ruderboot ‚eingeweiht’ hatte, ging er in den Schuppen und suchte sich ein Fahrrad aus. Ein Schild verriet den Preis: FAHRRADVERLEIH / Fietsverhuur 7,50 € pro Tag 35,00 € pro Woche. Mein lieber Gerrit, dachte Paul. Das sind ja Preise. Aber das Rad war perfekt und er war zufrieden. Er fuhr los. Unterwegs ging ihm das Wort verhuur nicht aus dem Kopf. Jetzt wusste er, warum die Damen von der Herbertstraße Huren genannt wurden. Im Ort kaufte er eine Wandel- & Fietskaart van Den Helder tot Amsterdam. Das Wort tot irritierte ihn. Froh war er, dass bei seinen Großeltern in Heide, Dithmarschen, früher Plattdütsch gesprochen wurde. Er selbst konnte es nicht sprechen, aber verstehen. Holländisch schien ihm verwandt. De Streekkaart voor Vakantie en vrije tijd - Die Streckenkarte für Urlaub und Freizeit. Er faltete die Karte auf. War es Zufall oder wollte ihm die Karte den Weg weisen? Sein erster Blick fiel auf den Ort, den er jetzt aufsuchen würde - Bergen.
.
Paul - Outplacement - 31. Okt, 19:36
1106 mal gelesen
Trackback URL:
https://kriminalroman.twoday.net/stories/4407020/modTrackback