Die Mutprobe

Kapitel 68 - 18. Juni 2007


Paul wusste nicht, wie er auf den Hochsitz gekommen war. Hoffentlich hatte ihn niemand gesehen. Er war schweißgebadet, so als wäre eine Horde Wildschweine hinter ihm her gewesen. Er saß auf einer gut einen Meter langen Sitzbank, die fest mit dem Hochsitz verbunden war und sah sich um. Aber das unterließ er ganz schnell wieder. Das Brett, das man nach dem Besteigen des Hochsitzes früher einmal als Rückenlehne und Fallschutz in die dafür vorgesehenen Ausfräsungen klemmen konnte, war wohl im Laufe der Jahre abhanden gekommen. Hinter ihm befand sich gar nichts! Rechts und links in Oberarmhöhe zwei Bretter, an denen er sich krampfhaft festklammerte. Vor ihm ein Sichtschutz aus quer verlaufenden Brettern, die ihn vollständig verdeckten. Nahezu vollständig, denn in Augenhöhe war ein zwanzig Zentimeter hoher Spalt ausgespart. Paul duckte sich instinktiv, aus Furcht, gesehen zu werden, aber auch, um die Höhe, in der er sich befand etwas zu verringern. Nach unten blickte er lieber nicht. Er wusste, dass das nicht gutgehen konnte. Ihm war so schon mulmig genug. Es konnte auch leichter Schwindel sein.


Hochstuhl

Der untere Teil des Hochsitzes kam Paul doch nicht so ganz geheuer vor.


Paul schloss für einige Momente die Augen und redete seinem Vestibularsystem gut zu. Dann versuchte er sich abzulenken, indem er seinen Fragenkatalog abarbeitete, seine innere Checkliste:

1. Erreichbarkeit? Letztendlich gut, mit zwei kritischen Augenblicken, vom Auto zum Wald und am Waldrand auf den Hochsitz.
2. Im Dunkeln? Weniger Risiko, gesehen zu werden, dafür Stolpergefahr im Wald, aber machbar.
3. Leiter? Keine Ahnung, aber sie hatte ihn offensichtlich getragen.
4. Höhe? Für sein Gleichgewicht äußerst kritisch, aber dafür wurden ihm die Suiten des Hotels quasi auf dem Präsentierteller serviert. Er konnte mit bloßem Auge die Liegen, die Sitzecken, die Betten und sogar die Flachbildfernseher erkennen.
5. Bauzustand? Paul machte eine leichte Schaukelbewegung. Das knackte und knirschte nicht schlecht! Aber einstürzen würde es wohl nicht.
6. Deckung? Gut, auch wenn sich Paul wie ein Ausstellungsstück vorkam. Er hatte immer das Gefühl, er sei genau so gut zu sehen, wie er das Hotel sah. Auch wenn im Moment weder Personal noch Gäste zu entdecken waren.
7. Witterungsschutz? Keiner. Wenn es regnete oder geregnet hatte? Pech! Einen Regenschirm konnte er kaum aufspannen. Er sollte an seine Windjacke denken.
8. Wildschwein? Sehr unwahrscheinlich.
9. Entdeckung? Wenn frühzeitig, könnte sie seine Planungen über den Haufen werfen. Wenn später, wäre sie unangenehm aber eigentlich egal, da es sicher nicht strafbar war, den Hochsitz zu besteigen.

Eine frühzeitige Entdeckung wäre ihm also das größte aller möglichen Übel, das Worst-Case-Szenario.

Paul hatte seine Augen längst wieder geöffnet. Er war bereits zwei Mal zusammengezuckt. Beim ersten Mal war ein Gast auf die Terrasse getreten, hatte sich umgesehen und war wieder verschwunden. Beim zweiten Mal war es eine Hotelbedienstete gewesen, die den Kühlschrank einer Suite mit kleinen Fläschchen auffüllte. Jedes Mal hatte Paul damit gerechnet, dass kurze Zeit später jemand über die Terrasse und den Rasen auf den Hochsitz zukommen würde, um ihn zur Rede zu stellen. Aber es war niemand gekommen. Er wollte sein Glück nicht weiter auf die Probe stellen und trat den Rückzug an, so gern er die Dunkelheit abgewartet hätte. Beim Abstieg hatte er noch eine brenzlige Situation zu überstehen, die ihm einige Schrammen an seinen Händen eintrug und wahrscheinlich ein, zwei blaue Flecken am linken Schienbein. Da die unterste Sprosse der Leiter fehlte, war Paul ins Leere getreten und mit dem oberen Fuß abgerutscht. Erst als er seinen BMW aufschließen wollte, merkte er, dass seine Hände leicht bluteten.

Paul zog ein positives Fazit, als er um 15 Uhr 25 vom Parkplatz fuhr.

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Paul

Outplacement (Kriminalroman)

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in meinem autobiografischen Kriminalroman, der sich seit dem 30. Oktober 2007 in Arbeit befindet. (Sollte Ihre Startseite nur ein Kapitel des Romans zeigen, klicken Sie bitte oben auf PAUL.) Für mich geht es beim Schreiben in erster Linie darum, die Geschehnisse der letzten Monate aufzuarbeiten, soweit dieses überhaupt möglich sein wird. Ich möchte hier nichts beschönigen, nichts zu erklären versuchen, mich weder rechtfertigen noch selbstbezichtigen, sondern Abstand gewinnen. Zeit zum Schreiben habe ich in diesen Tagen und Wochen weiß Gott genug. Er möge mir auch die nötige Kraft und Hoffnung geben, um den Roman und mein Leben zu einem guten Ende zu bringen. Der Gedanke daran, dass Sie und andere Leser an meinem Schicksal teilnehmen, ist tröstlich und hilfreich. Ich danke Ihnen!

Was erwartet Sie?

Ohne zuviel vorwegzunehmen: Sicherlich keine leichte Unterhaltung! Aus der Sicht desjenigen, der die Geschichte durchlebt hat, kann von 'leicht' keine Rede sein. Es geht um Hörstürze, Arbeitsplatzverlust, Aufhebungsvertrag, Midlife-Krise, Globalisierung, Outsourcing, Outplacement und Sozialabbau. Aber auch um eine kritische Grundeinstellung und eine recht unglückliche Kettenreaktion. Paul war Personalleiter mit viel Sympathie für Betriebsräte und Arbeitnehmerinteres- sen. Sie erfahren ganz viel über Paul, seine Familie, sein Lieblingsland Italien, seine Urlaubsreisen, Holland, Indien, Japan, China, das Go-Spiel, Hamburg, die Alster und 'seinen' HSV, Schleswig-Holstein, Quickborn, die Bee Gees und, ob Sie wollen oder nicht, über die 'gute' alte Zeit.

INHALT (bisher)


Moin, ich bin Paul!

Eine Art Vorwort ...

1 Ausblick ........... 2 Frühstückstisch ... 3 Ins Netz gegangen 4 Die Achillesferse . 5 Das Mittelmeer ... 6 Gastschüler ....... 7 Tour de France ... 8 Michi ............... 9 Aan Zee ........... 10 Grundsatz- diskussion ........... 11 Der Kongress .... 12 Die Macher ...... 13 Bergen ........... 14 Wilhemminalaan 15 InterRail ......... 16 Für Marijke ...... 17 Die Kernspaltung 18 Personal- management ........ 19 Simmungs- schwankung ......... 20 Die Referenten .. 21 Gmail ............. 22 Die Biografie .... 23 An der Alster ..... 24 Das Hotel ......... 25 Global ............ 26 Das Aquarium .... 27 Die Enten ......... 28 Die Fütterung .... 29 Purismus .......... 30 Hochsitze ....... 31 Eine richtige Familie ............... 32 Tönning .......... 33 Jojo .............. 34 Fußball ............ 35 Café au lait ...... 36 Führungs- grundsätze ........... 37 Uganda ............ 38 Im Internet ....... 39 Volendam ......... 40 Das Abendblatt .. 41 SONY ............. 42 Der Schwindel ... 43 Camcorder ....... 44 Die Einstellung ... 45 Piazza dei Miracoli .............. 46 Go ................. 47 Der Mensch ....... 48 Der Anruf ......... 49 Im Laufschritt .... 50 Besinnung ........ 51 Alles OK .......... 52 Positives Denken 53 Die Bootsfahrt ... 54 Indien.............. 55 Ein Traum ........ 56 Königsberger Klopse ................ 57 Negativ ........... 58 Bella Napoli ...... 59 Schizophrenie ... 60 Der Einkauf ...... 61 Betriebliche Altersversorgung .... 62 Durchgang verboten ............. 63 Finanzamt Elmshorn ............. 64 Woodstock ....... 65 Der letzte Tag ... 66 Im Wald .......... 67 Das Gespräch .... 68 Die Mutprobe .... 69 Die Bee Gees .... 70 Goede namiddag!
FORTSETZUNG FOLGT

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